Von staatlichen Bürgschaften zur Green Bank?

Einer meiner Grossväter, ein SBB-Beamter mit Arbeitsort Olten, war in einer Freimaurer-Loge engagiert. Er war dort für ein anderes Mitglied eine Bürgschaft eingegangen, weil sich dies unter „Brüdern“ so ziemte. Dies war in den frühen Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts – mitten in der grossen Weltwirtschaftskrise – ein nicht geringes Risiko. Und tatsächlich: Weil sich die Geschäfte nicht wie erhofft entwickelten, kam mein Grossvater zum Handkuss. Er musste für eine nicht unerhebliche Summe als Bürge geradestehen. Deshalb wurde mir schon als Kind von der Grossmutter immer wieder eingebläut, mit Bürgschaften ja sehr vorsichtig zu sein. 

Uhrenkrise verlangt neue Instrumente des Staates

Die Folgen der Uhrenkrise waren schmerzhaft. Im Auftrag des Bundesrats sollte darum der damalige BIGA-Direktor Jean-Pierre Bonny ein Hilfspaket für die betroffenen Regionen zusammenstellen. Ziele waren die Ansiedlung neuer Firmen, pfiffige Innovationsprojekte bestehender Unternehmen, die Förderung neuer wirtschaftlicher Aktivitäten und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Als Liberaler tat sich Bonny vorerst schwer mit diesem Auftrag. Er spielte in Gedanken mit den verschiedensten Ideen, unter anderem die Schaffung einer eigentlichen staatlichen Investitionsbank.

Ein ungewöhnlicher Geburtsort: Loch 5 im Golfclub Blumisberg

Um den Kopf zu lüften, ging Jean-Pierre Bonny auf dem Golfplatz Blumisberg eine Runde spielen. Angelangt beim Loch 5 hatte er seine Überlegungen geordnet und das künftige Massnahmenpaket im Kopf. Er verabschiedete sich von der Idee einer staatseigenen Bank und konzentrierte sich auf ein Konzept mit Bürgschaften, Zinsverbilligungen und Steuererleichterungen. Gleichzeitig nahm er aber die Geschäftsbanken in Pflicht. Diese durften nur auf einem Drittel der benötigten Kredite Bürgschaften beantragen. Auf einem zweiten Drittel hatten sie Darlehen aufgrund banküblicher Sicherheiten zu vergeben. Auf dem verbürgten Kredit mussten sie zudem eine Zinsreduktion von einem Viertel gewähren. So musste der Unternehmer, nach einem gleich hohen Zinsopfer von Bund und Kanton, nur noch einen Viertel des Zinses berappen (der war damals noch deutlich höher als heute).

Arrêté Bonny: Der Start von PPP in der Schweiz

Damit war die Grundformel für die Kooperation bei der Wirtschafts- und Technologieförderung geprägt. Der Staat trägt nicht alleine das Risiko, vielmehr prüfen Wirtschaft, Banken und Staat gemeinsam die Projekte, engagieren sich in enger Absprache und tragen mögliche Verluste gemeinsam. Dank dieser Formel des „Arrêté Bonny“ konnten in den folgenden Jahren viele neue Firmen für die ehemaligen Krisenregionen gewonnen und auch neue Arbeitsplätze in bestehenden Unternehmen geschaffen werden. Ich habe selbst bei nicht wenigen erfolgreichen Projekten mitgewirkt, die sich für die jeweiligen Regionen im Kanton Baselland und Solothurn positiv auswirkten. Daneben gab es auch einige spektakuläre Flops. Diese zeigten aber vor allem auf, dass es sich eben um echte Risiken handelte und es nicht um reine Mitnahmeeffekte, was Skeptiker immer wieder behaupteten.

Der Bonny-Ansatz würde heute als Privat-Public-Partnership (PPP) bezeichnet. Er hebt sich wohltuend von anderen Entscheiden im Bürgschaftsbereich ab, bei denen Beamte ihre Entscheide alleine fällen. Oft auf Basis unvollständiger Informationen sowie dem Lobby einzelner Firmen in den Amtsstuben und dann – wie etwa bei der Hochseeschifffahrt – hohe Verluste einfahren.

Technologiefonds: Ein neues erfolgreiches PPP

Parlamentarische Initiativen erreichten, dass 2010 das Gebäudeprogramm der Kantone starten konnte. Für die Finanzierung von energietechnische Sanierung von Häusern und Haustechnik wurde ein Drittel der Einnahmen aus der CO2-Abgabe eingesetzt. Parallel dazu wurde auf Initiative von Nationalrat Ruedi Lustenberger ein kleiner Teil dieser Gelder in einen separaten Topf geleitet. Damit sollten Start-ups und Innovationen im Cleantech-Bereich unterstützt werden. Der Vollzug dieses Technologiefonds wurde entlang des Bonny-Konzept aufgegleist, nämlich in enger Zusammenarbeit zwischen den Bundesämtern für Umwelt und Energie und der Privatwirtschaft. Die Prüfung der Gesuche erfolgt durch die im Innovations- sowie Venture-Bereich tätige Emerald Technology Ventures, die CO2-Aspekte werden durch Southpole-Experten abgeklärt. Über die finanziellen Engagements des Fonds entscheidet nicht der Staat, sondern ein Bürgschafts-Komitee. Es steht unter Leitung des ehemaligen Kreditchefs der Schwyzer Kantonalbank und ist mit vier Fachleuten aus der Wirtschaft sowie je einem Vertreter von BAFU und BFE besetzt. Die bisherige Bilanz des Technologiefonds ist sehr positiv: Von rund 90 Engagements entpuppten sich nur gerade vier als Flops, einige Start-ups haben Potential zu echten Capricorns.

Die Risiken für Investments im Klima- und Energiebereich

Wir alle wissen, dass die Herausforderungen des Klimawandels und des Umbaus unseres Energiesystems mit Risiken verbunden sind. Private können diese Risiken nur teilweise tragen, weil Regulierungen und andere Hemmnisse ein weitergehendes Engagement verhindern. So suchen beispielsweise recht viel Pensionskassen nach Anlagen im Bereich von Start-ups. Teilweise wären Fonds auch bereit, Investitionen in erneuerbare Energien in Drittweltländern zu forcieren. Doch die Risiken sind im aktuellen Umfeld zu hoch. Darum werden solche sinnvollen Investitionen mit teils hoher CO2-Reduktion und attraktivem Arbeitsplatzeffekt sehr oft nicht getätigt. 

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass das Instrument der staatlichen Bürgschaft und Ausfallgarantie derartige Fonds beflügeln können. So haben die dänischen Pensionskassen einen Dachfonds von 700 Millionen Euro geschaffen, der Venture- und Wachstumsfinanzierungen ermöglicht. Dank einem garantiebasierten Anleihemodell ist es nicht nur gelungen, direkt Kapital an die Start-ups zu vermitteln. Indirekt werden dadurch auch weitere staatliche Anleihen in diesem Bereich mit Pensionskassengeld unterlegt und so das Wachstum der Unternehmen unterstützt.

Mehr Green Investments für institutionelle Anleger 

Auch unsere Pensionskassen und deren Fonds könnten sich vermehrt bei Start-ups sowie grünen Investitionen in Entwicklungsländern engagieren, wenn sich ein Teil der Risiken über staatliche Bürgschaften, Garantien oder Beteiligungen abdecken liesse. Aber vorerst gelten die Vorgaben der FINMA und die sind meist sehr strikt, da ist alles voller Risiken und Gefahren. Die in den nächsten Monaten zur Diskussion stehende Ausgestaltung des Klimafonds innerhalb des CO2-Gesetzes könnte einen wichtigen Anstoss geben, neue Konzepte eines zukunftsweisenden PPP zu entwickeln und zusammen mit den staatlichen Stellen ein neues Verständnis von zukunftsträchtigen Klima- und Energie-Investments zu erarbeiten.

Kommt nun die Green Bank?

In den Achtzigerjahren hatte Jean-Pierre Bonny die Idee einer staatlichen Investitionsbank für die benachteiligten Regionen verworfen, weil die Geschäftsbanken dies als ihr Kerngeschäft ansahen und vehement Opposition machten. Heute sind in verschiedensten europäischen Ländern staatsnahe Green Banks aktiv. Sie sind eng mit den Geschäftsbanken vernetzt und setzten gemeinsame Finanzierungen für Klima- und Energieprojekte auf. Weder die Klima-Engagements der deutschen kfw-Bankengruppe noch die britische Green Investment Bank sind dabei Kinder linker Regierungen. Es sind einfach kluge Konzepte eines neuen Verständnisses von Public-Private-Partnerships, die allen Vorteile bringen, CO2-Emissionen reduzieren und wirtschaftsnahe Lösungen garantieren. Ob sich auch bei uns in der Schweiz die Banken und Regulierungsbehörden in diese Richtung bewegen? Dann könnte  aus dem heute beim BAFU angedachten Klimafonds schon bald eine zukunftsgerichtete Bank mit Beteiligung von Banken, Fonds und weiteren institutionellen Anlegern für eine grüne Zukunft werden.

Der Blog erscheint am 25. Februar 2021 im Energate Messenger

Januar – Splitter

Corona hat uns fest in Griff, schränkt unsere Kontakte ein und erschwert das Networking. Deshalb aus meinem Homeoffice nicht mehr als einige Splitter zu Ereignissen, News sowie aktuellen Entwicklungen.

Energieautarkie für Gebäude ist sehr teuer

Den Jahresauftakt bildete wie immer die Verleihung des Watt d‘Or, die dieses Jahr rein digital stattfand. Bemerkenswert ist die Verleihung eines Gebäudepreises an die Umweltarena um den rührigen Walter Schmid. Er hatte bereits 2012 einen Lifetime-Watt d’Or für sein langjähriges Pionier-Engagement erhalten hat. Nun zeigt er zusammen mit seinem Sohn René auf, dass bei grösseren Überbauung Energieautarkie zwar möglich, Energieselbstversorgung im Verbund aber sinnvoller und kostengünstiger ist. Die Nutzung des Strom- und Gasnetzes ermöglicht die Power-to-Gas Umwandlung von überschüssigem Strom in erneuerbares Gas. Dieses wird so im Sommer gespeichert und dann erst im Winter genutzt, was die Winterstromlücke reduzieren hilft.

Berg- oder Flachlandprojekte zur Schliessung der Winterlücke günstiger?

Auch ein zweites mit dem Watt d’Or ausgezeichnetes Projekt trägt dazu bei: Das schwimmende Solarkraftwerk von Romande Energie auf dem Lac des Toules. Es ist ein Pionierprojekt, mit dem Erfahrungen zu den speziellen Produktionsbedingungen auf 1’800 Meter Höhe gesammelt werden. Spannend wird sein, ob sich schwimmende oder an den Staumauern montierte Anlagen wie jene des ewz an der Albigna durchsetzen werden. Noch viel spannender ist die Frage, welche Kostenreduktionsfaktoren noch vorhanden sind, wenn man die Lac des Toules/Albigna-Produktion mit dem geplanten Axpo/IWB-Projekt an der Muttsee-Staumauer vergleicht.

Oder hat etwa gar der Solarpionier Urs Muntwiler recht? Er hat ausgerechnet, dass die Kosten dieser Anlagen im Gebirge derart hoch sind, dass im Flachland für denselben Betrag die vierfache Fläche zugebaut werden könnte. Im Winter würden sich so trotz witterungsmässig bedingtem schlechteren Erntefaktor in etwa dieselben Produktionskosten pro Kilowattstunde ergeben. Immer mehr Leute aus Wirtschaft und Wissenschaft sind sich inzwischen einig, dass es für Neubauten am besten in allen Kantonen eine Pflicht zu Photovoltaik-Dächern geben sollte. Denn schon bald gibt es eine „Roof-Parity“, weil man – netto ohne Mehrkosten – ein Solardach statt eines normalen Daches installieren und den überschüssigen Strom selbst verkaufen kann.

H2 gewinnt an Fahrt – gerät die Schweiz ins Hintertreffen?

Verdient haben sich den Watt d’Or auch H2 Energy und alle Promotoren rund um Rolf Huber sowie Philipp Dietrich. Mit viel visionärem Geist machen sie Wasserstoff für den Schweizer Schwerverkehr attraktiv und bringen zusammen mit Hyundai nun 1’500 Lastwagen auf die Schweizer Strassen, die mit grünem Wasserstoff betankt werden. Gespräche mit Transporteuren zeigen mir, dass die Nachhaltigkeitsbotschaft angekommen ist. Verschiedenste Konzepte werden umgesetzt, weil die Kunden diese Ökoqualität immer mehr nachfragen.

In der Schweiz sind es bisher primär private Initiativen, die Wasserstoff aus dem Forschungslabor in die ersten Marktanwendungen katapultieren. Demgegenüber wird in Deutschland H2 bereits als „Champagner der Energiewende“ verstanden. Die Umnutzung bestehender Gasnetze zum Transport von Wasserstoff soll schon bald eine neue Aufgabe der deutschen Bundesnetzagentur werden. In Europa und Deutschland geht beim Wasserstoff die Post ab. Der ehemalige stellvertretende EU-Generaldirektor Christopher Jones mahnt denn auch die Schweiz in einem lesenswerten Text, siehe hier (LINK), beim Entstehen dieses europäischen Wasserstoffmarktes nicht ins Hintertreffen zu geraten. Wenn sie sich jetzt nicht zukunftsgerichtet aufstellt, wird sie beim Wasserstoff keine Transitrolle wie bei anderen Energieträgern spielen können.

Wann kommen wir wieder zusammen?

Digitale Formate wie die diesjährige Watt d’Or Preisverleihung können Informationen vermitteln und Wissen weitertragen. Aber es fehlt der Glamour, das Networking und der persönliche Austausch, den uns all die Plattformen von Teams, Zoom über Skype und Webex nicht wirklich bieten können. Noch können wir nur hoffen, dass die Powertage im Juni stattfinden, noch ist unklar, ob die bereits vom Jahr 2020 ins 2021 verschobenen Jubiläumsfeiern 100 Jahre des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie VSG im Mai mit physischer Präsenz stattfinden darf.

Wir haben in den letzten Monaten auch gelernt, dass digitale Ganztagesanlässe mit dichtem Programm kaum zu einem Erfolgsprodukt werden: weder das jetzt stattfindende WEF noch der Stromkongress vermochten zu überzeugen. Auch wenn sich bei der Ansprache von Simonetta Sommaruga das Dekor mit der riesigen Schweizerfahne und dem Alpenpanorama vom üblichen Kursaal-Charme deutlich abhob.

Messen wandeln sich zum Angelpunkt permanent aktiver Communitys

Attraktiv war demgegenüber die ebenfalls diese Woche ausgestrahlte Vorschau auf Innovationen und Vorbereitungsarbeiten der Swissbau 2022. In der rund einstündigen Schau gab es Life-Schaltungen nach Los Angeles, Präsentationen der wichtigsten Formate sowie diversen Kurzinterviews. So wurden die wesentlichen Themen aber auch der Weg der Erarbeitung dieser Grossveranstaltung aufgezeigt. Dabei wird das an der Messe zu erlebende Innovation Lab nur der Schlusspunkt sein eines ganzjährigen Projekts mit intensiven Kreativworkshops und Kooperationsrunden zwischen verschiedenen Playern der Branche. Im Innovation Lab werden dann die erarbeiteten neuen Erkenntnisse und konkrete Beispiele für eine erfolgreiche Bauzukunft präsentiert. Messen sind nur dann erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, Communities zu bilden, die sich auch zwischen den Messen austauschen, Innovationen aushecken und Leuchttürme realisieren, die dann an den Messen gezeigt werden können.

Weiterbildung: Taten statt Worte nötig!

Ob diese Innovationsprojekte dann auch breit in der Baubranche umgesetzt werden, will ich aktuell offenlassen. Eine mit viel Hoffnung an der Swissbau 2016 von BauenSchweiz und vielen Branchenverbänden unterzeichnete Charta zur Weiterbildung, die dort an Bundesrätin Doris Leuthard übergeben wurde, hat jedenfalls noch nicht überall den Weg in den Betriebsalltag gefunden. Bei diversen Bau-, Umbau- und Erneuerungsprojekten im meinem persönlichen Umfeld mache ich immer wieder enttäuschende Erfahrungen. So werden beispielsweise möglichst wenig Teile repariert, sondern durch neue Teile ersetzt, weil dies eine höhere Marge bringt. Zweitens wollen noch immer viele Handwerker bestehende Heizungen und Boiler mit derselben (fossilen) Technologie ersetzen, weil Wärmepumpen und andere erneuerbare Heizsysteme etwas komplexer sind und man sich dafür eben weiterbilden müsste. Wann zeigt BauenSchweiz mit Zahlen und Fakten, dass die 2016 unterzeichnete Weiterbildungscharta auch umgesetzt wird?

Erscheint am 28. Januar 2020 im Energate Messenger Schweiz

Jahresrückblick Energie 2020: Auf dem Weg zu einer neuen Normalität?

Vor Jahresfrist hatte ich in meinem Rück- und Ausblick vermutet, dass das Jahr 2020 keine grossen Fortschritte in der schweizerischen Energiepolitik bringen werde, weil Simonetta Sommaruga als Bundespräsidentin von vielen anderen Themen absorbiert würde. Tatsächlich hat sich auf der energiepolitischen Bühne 2020 wenig getan, zu sehr beschäftigte der verflixte Covid Virus unser politisches System, das nach 9 Monaten ziemlich an seine Grenzen gekommen ist. Koalitionsregierungen ohne echte Führung, starkes Lobbyieren von mächtigen Verbänden sowie ein Föderalismus, in welchem man ein kantonales Verbot mit einer Trämlifahrt von fünf Kilometern umgehen kann: Das sind nicht die Voraussetzungen, die bei der Bevölkerung Vertrauen schaffen. Und es ist deshalb immer öfters die Rede von einem generellen Staatsversagen, obwohl ja alle an ihrer Stelle immer das Richtige korrekt tun wollen….

Vor der CO2-Gesetzesabstimmung: Ausgang sehr ungewiss

Das einzige Gesetz mit Relevanz für Klima und Energie, das 2020 vom Parlament verabschiedet wurde, ist das CO2-Gesetz. Darüber werden wir wohl im Sommer 2021 abstimmen dürfen. Und dabei wird es nicht nur allein um die Vorlage gehen, gegen die von der Erdöllobby sowie der Klimajugend in einer unheiligen Allianz Opposition gemacht wird. Vielmehr haben einige Gruppen wegen Covid eine „Rechnung“ mit dem „Staat“ und der „Politik“ offen. Dazu gehören etwa Kulturschaffende, selbständig erwerbende Dienstleister, die Gastronomie oder die über 65-Jährigen, die von einem Tag zum andern von kerngesunden Golden-Agern zu Angehörigen einer Risikogruppe mutierten. Damit kann die CO2-Abstimmung leicht zu einer Vertrauensabstimmung für den Bundesrat, das politische System und die kaum erklärbaren Sonderzüglein einzelner kantonaler Regierungen werden. Denn wie mir einst schon mein Coiffeur empfahl, muss man es „denen“ wieder mal zeigen und an der Urne aus Protest grundsätzlich Nein stimmen. Bemerkenswert ist übrigens, dass bereits bei den eidgenössischen Abstimmungen vom September 2020 die Nachwahlbefragung im Tessin genau diesen Covid-Effekt ergeben hat.

Ein neues Super-Bundesgesetz in Vorbereitung

Aktuell werden im Bundesamt für Energie die Vorarbeiten geleistet, damit Mitte 2021 die Revisionen des Stromversorgungs- und Energiegesetzes im Sinn eines Mantelerlasses in ein neues Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien gegossen sind. Ein erster Schritt, Energie vermehrt als Gesamtsystem zu betrachten und mit einem ganzheitlichen Rechtsrahmen anzugehen. Dazu gehört künftig sicher auch die Weiterentwicklung der CO2-Gesetzgebung, um die Teilsysteme Strom/Wärme/Mobilität, die erneuerbaren Energien wie auch die Schnittstellen zwischen den einzelnen Teilsystemen zielführend zu regulieren.

Hat der Green Deal der EU Auswirkungen auf die Schweiz?

In der EU gibt man sich nach 25 Jahren intensiver Liberalisierung und Reregulierung der Energiemärkte nicht mehr der Illusion hin, dass man mit einer weiteren Runde von Gesetzen die einzelnen Teilmärkte wie Strom, Gas und Wärme effizienter, wettbewerbsaffiner und zukunftsgerichteter ausgestalten könnte. Die entsprechenden Vorarbeiten wurden abgeblasen und durch einen umfassenden Green Deal zur Erreichung der ambitiösen Klimaziele abgelöst. Dabei geht es nicht mehr um möglichst präzise Detailvorschriften für die einzelnen Teilmärkte sondern um Rahmenbedingungen, Infrastrukturen sowie die Transition ganzer Sektoren in die neue Klima- sowie Energiewelt. Und die Zauberworte, die dabei während der vergangenen sechs Monate unter deutscher EU-Präsidentschaft verwendet wurden, heissen Wasserstoff und Offshore-Energieproduktion. Diese sollen die längerfristige Energieversorgungssicherheit in der EU ermöglichen. Die Ziele und Strategien sollen schon bald mit ersten Förderinitiativen anvisiert werden. Dies könnte auch die Diskussion zum oben erwähnten Schweizer Supergesetz beeinflussen.

Der WEKO-Entscheid zum Gasmarkt: Konsequenzen für das GasVG?

Die Vernehmlassung zum geplanten Gasversorgungsgesetz GasVG ging im Februar 2020 zu Ende. Die Vorlage scheint aber noch weit vom Parlament entfernt zu sein. Erstens will man vorerst die Supervorlage StromVG/EnG als Botschaft finalisieren und zweitens scheint Simonetta Sommaruga – wie man aus der Branche hört – nicht gerade Gas-affin zu sein, weil es ein fossiler Energieträger ist. Zudem hat die Wettbewerbskommission WEKO mit einem Entscheid diesen Sommer den Gas-Markt für alle Teilnehmer geöffnet, sodass Durchleitungen ab sofort möglich sein sollten. Nicht nur der Preisüberwacher stellt deshalb die Frage, ob es denn überhaupt noch ein neues separates GasVG braucht, wenn der Gaskonsum wegen der Klimaziele sowieso zurückgehen wird und sich die Marktteilnehmer lange vor Inkrafttreten des GasVG wohl über die Bedingungen auf den Märkten privat einig sein könnten.

Die Elektroauto-Welle im Anrollen…

Vor einem Jahr hatte ich geschrieben, dass die E-Autos auch in der Schweiz kurz vor dem breiten Rollout stehen. Inzwischen haben die meisten Autohersteller ihre Angebote neu aufgestellt und über 60% der Schweizerinnen und Schweizer wollen beim nächsten Fahrzeug-Kauf die Anschaffung eines E-Autos prüfen. Ein befreundeter E-Auto-Pionier berichtet mir, dass er für die Verkäufer einzelner Automarken inzwischen Schulungen durchführt, damit diese ihren Kunden kompetent ein E-Auto präsentieren können. Gleichzeitig sind die öffentlichen Schnelllader-Charging-Stationen immer stärker belegt, sodass auch ich auf der App nun plötzlich die nächste freie Station teils eher weit entfernt finde.

….und erstmals Wasserstoff bei den Trucks

Bemerkenswert ist, dass bei den Nutzfahrzeugen der Trend aktuell Richtung H2 zu gehen scheint. Noch steckt die Technologie in Kinderschuhen, noch ist die Produktion und Lagerung von Wasserstoff aufwendig, noch ist der Rollout der Tankstellen in der Startphase. Aber eine Kombination von bereits bestehenden günstigen Rahmenbedingungen, wie das Umgehen der Netznutzungstarife oder die Besteuerung der LKW, könnte dem Wasserstoff zumindest in der Schweiz vorläufig ohne grosse staatliche Förderaktivitäten eine Chance geben, wenn nun neben Hyundai auch die anderen grossen Truck-Hersteller auf diese Technologie setzen.

Nuklear auf dem Abstellgleis

Noch werden uns zwar immer wieder neue Konzepte für die nukleare Stromproduktion präsentiert, doch sind diese Ansätze gegenüber den Erneuerbaren kostenmässig nicht konkurrenzfähig. Wie stark sich Nuklear in der Schweiz auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit befindet, zeigt der bundesrätliche Entscheid zur Federführung im Verwaltungsrat der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA in Wien. Hatte es das BFE während Jahrzehnten für richtig befunden, diesen Sitz hochrangig zu besetzen und damit eine fachlich kompetente Koordination der mit Nuklearfragen befassten Ämter sowie Institutionen sicherzustellen, so ist nun seit wenigen Wochen mit Botschafter Benno Laggner erstmals ein EDA-Diplomat mit der Federführung betraut. Weil Diplomaten ja ihre Station alle vier Jahre wechseln, kann da nicht mehr von Kontinuität, sondern nur von reiner Repräsentation die Rede sein. Dies bei einer früher wichtigen Organisation, bei der die Schweiz gar einmal den Generaldirektor stellen wollte.

Energieforschung und Innovationsförderung weiter mit voller Kraft

Erfreulich ist, dass die Förderung von zukunftsgerichteter Energieforschung und Innovation wie auch Startups weitergeht. Pünktlich auf das Ende der Laufzeit des Programms der Kompetenzzentren für Energieforschung SCCER wurde das Nachfolgeprogramm SWEET ausgerollt, welches nun konzentriert einzelne Forschungsschwerpunkte vorantreibt. Herangewachsen ist eine Community aus staatlichen und privaten Unterstützern – von Innosuisse über VC-Fonds,kantonalen Wirtschaftsförderer, Seco bis hin zur Swiss Entrepreneurs Foundation und dem Technologiefonds – die sich für Innovationen und pfiffige Jungunternehmen engagiert, um den Ideen auf dem Markt Chancen zu geben.

Energieperspektiven 2050+: Gestaltungsoptionen vorhanden

Seit den Siebzigerjahren wird die schweizerische Energiezukunft periodisch in Szenarien beschrieben. Die neuste Edition hat in Medien und Öffentlichkeit wenig Echo ausgelöst, obwohl einige Punkte bemerkenswert sind. Die seit Jahrzehnten involvierten Beratungsbüros Prognos, Infras und TEP zeigen auf, dass das klimapolitische Netto-Null-Ziel zwar erreichbar ist, aber wesentliche und rasche Fortschritte bei Energieeffizienz und Erneuerbaren verlangt. Und am Schluss wohl Carbon Capture and Sequestration (CCS) wie auch Negativ-Emissionstechniken (CO2-Entzug aus der Atmosphäre) mit Speicherung im In- und Ausland nötig sein werden. Zudem scheint eine Abregelung überschüssiger erneuerbarer Energien inzwischen akzeptiert, obwohl man noch vor kurzer Zeit diese Energie unbedingt nutzen wollte. Immerhin rechnen die Energieperspektiven 2050+, dass sich ab 2030 die Elektrolyse als neue wesentliche Technologie etabliert. Spannend auch die Aussagen zu den Importen, die um mehr als 80% zurückgehen und sich beinahe vollständig aus erneuerbaren Energien in Form von Biomasse sowie Power-to-X zusammensetzen werden.

Wichtige personelle Weichenstellungen im Jahre 2020

Der neue Axpo-CEO Christoph Brand hat vor einigen Monaten seine Arbeit aufgenommen. Man registriert bereits einen veränderten Spirit sowie neue zukunftsweisende Botschaften. Zudem hat Alpiq mit Antje Kanngiesser eine CEO gewählt, welche breite Branchenerfahrung hat, sich für Erneuerbare einsetzt und auch die Vorteile von Kooperationen sieht. Da könnte eine Eiszeit zu Ende gehen. Natürlich wird es nun keine Neuauflage von Swisselectric geben, aber bestimmte Fragen, welche die AAB (Alpiq/Axpo/BKW) gemeinsam betreffen, könnten in dieser neuen Konstellation zusammen angegangen werden.

In der Bundesverwaltung hat mit Kathrin Schneeberger, vorgängig im ASTRA engagiert, erstmals eine Frau die Direktion des Bundesamtes für Umwelt BAFU übernommen. Zusammen mit dem Schwesteramt BFE wird es ihr darum gehen müssen, verlässliche Grundlagen und kluge Gesetzesentwürfe zu präsentieren, mit denen Versorgungssicherheit und Klimaziele gleichzeitig erreicht werden können.

Ein doppelter Wechsel hat beim ENSI stattgefunden. Der auf Jahresbeginn neugewählte ENSI-Präsident Martin Zimmermann hat sein Mandat nach wenigen kritischen Medienfragen niedergelegt, um die Glaubwürdigkeit des ENSI zu schützen. Er wurde durch Rechtsprofessor Andreas Abegg ersetzt. Marc Kenzelmann hat Mitte des Jahres die Direktion des ENSI übernommen und wird dort zu effizienten sowie fundierten Entscheiden beitragen.

Was wird die neue Normalität sein?

Werden Politik und Wirtschaft, wenn dann möglichst viele geimpft sind, zur alten Normalität im Energiebereich zurückkehren und die vorherigen Ansätze weiterverfolgen? Ich gehe davon aus, dass Covid einiges in Bewegung gebracht hat und sich das Rad nicht mehr zurückdrehen lässt. Verschiedenste Erkenntnisse, neue Ansätze und Arbeitsformen wie Homeoffice, Videokonferenzen bis hin zum vermehrten Reden in Klartext werden bleiben. Die Hierarchien werden gegenüber Teamarbeit an Bedeutung verlieren und die Digitalisierung wird überall umgesetzt. Zudem sind im Energienetzwerk verschiedenste Plattformen am Start, die gebündelt die betrieblichen Prozesse und die überbetriebliche Kooperation erleichtern werden. Zu hoffen ist, dass der Staat und damit BFE/BAFU ihre Rolle in diesem stark veränderten Umfeld finden und mit klugen vorwärtsorientierten Regulierungen zu Versorgungssicherheit sowie Erreichen der Klimaziele beitragen werden. Zudem werden Bundesrat und Parlament sich stark engagieren müssen, um bei der Bevölkerung wieder Vertrauen in die Institutionen sowie die Vorlagen zu schaffen und damit die Basis für eine gedeihliche Weiterentwicklung der schweizerischen Politik zu legen.

Ich wünsche Ihnen ein gutes Neues Jahr: Bleiben Sie gesund, kritisch-konstruktiv und engagiert für eine nachhaltige und bunte Energiezukunft!

Erscheint am 30. Dezember als Blog im Energate Messenger Schweiz

Das Stromabkommen – bald wieder auf dem Tisch?

Noch sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft voll auf die Bewältigung der Covid-Pandemie ausgerichtet. Doch hinter dieser riesigen politischen und gesellschaftlichen Herausforderung der kommenden Monate verbirgt sich ein zweiter grosser Problemberg, der zu ähnlich emotional geladenen Auseinandersetzungen führen könnte: Das institutionelle Abkommen (INSTA) mit der EU. Noch kann Botschafterin Livia Leu abseits der Scheinwerfer von Medien und Politik das Dossier mit klugen Lösungen vorantreiben. Bald schon könnte sich dies ändern, dann werden sich nicht nur einige alt Botschafter sowie ehemalige EWR-Richter skeptisch bis ablehnend zu diesem Vertrag äussern, dessen aktuelle Fassung vom EDA ins Internet gestellt wurde.

Stromabkommen und INSTA hängen eng zusammen

2012 hatte die EU ja die Verhandlungen zum Stromabkommen 2012 mit jenen zum INSTA gekoppelt. Seit dann sind die Strom-Verhandlungen vom INSTA überschattet worden und mussten gar zeitweise wegen der Masseneinwanderungsinitiative unterbrochen werden. Deshalb konnten die letzten Fragen für die Teilnahme der Schweiz am europäischen Strommarkt bis jetzt nicht abschliessend geklärt werden.

Stromabkommen – jetzt auch ein Thema der Wissenschaft

Bemerkenswert ist, dass in der Schlussphase der auf Energiethemen ausgerichteten Nationalen Forschungsprogramme 70 und 71 der Expertengruppe plötzlich auffiel, dass das Thema «Europa» in keiner Studie behandelt worden war. In der Folge wurden Expressaufträge an zwei Forschergruppen erteilt. An der Universität St. Gallen machten sich Hettich, Thaler, Camenisch, Hofmann, Petrovich und Wüstenhagen ans Werk, an der ETH Lausanne arbeiteten Matthias Finger und Paul Van Baal am Thema.

Ich befasse mich im Folgenden ausschliesslich mit der Arbeit „Beziehungen unter Strom – Die Schweiz, die Elektrizität und die Europäische Union“ von Finger/Van Baal. Dies weil Matthias Finger dank seinem langjährigen Einsitz in der ElCom zu den Insidern zählt und deshalb näher am Thema dran ist.

Eine Welt der zwei Geschwindigkeiten

Finger blickt auf die Geschichte der Strombeziehungen zwischen der Schweiz und der EU zurück. Ausgehend vom visionären Projekt des „Sterns von Laufenburg“ zeigt er auf, dass irgendwann um die Jahrtausendwende die Liberalisierung und Regulierung des Strommarktes in der EU und der Schweiz ganz unterschiedliche Geschwindigkeiten annahmen. Zentral dafür ist ganz sicher, dass die Stromfirmen in der EU keine Vetomöglichkeit hatten, während in der Schweiz die kleinen EVU bei der Abstimmung über das Elektrizitätsmarktgesetz 2002 wesentlich zum Volks-Nein beitrugen.

Was fehlt?

Leider fehlt in diesem Buch ein wesentlicher Punkt. Nämlich die schweizinterne Diskussion von 2010 über das zweite Verhandlungsmandat für das Stromabkommen, nach dem Inkrafttreten des 3. Liberalisierungspakets der EU. Für die EU damals selbstverständliche neue Themen wie die Erneuerbarenziele, die Beihilfenfrage (als Problem für die Kantone und ihre Werke), Umweltstandards für Kraftwerke oder der Einbezug der energienahen Finanzdienstleistungen (REMIT) waren in der Schweiz noch nicht angekommen und führten zu massiver Opposition. Auch der Start der Verhandlungen zum INSTA im Jahr 2012 wird im Werk von Finger/Van Baal nicht mit der nötigen Relevanz abgehandelt. Denn damals wurden die Stromverhandlungen zur Geisel des INSTA. Viele Fragen wie die Rechtsübernahme, die Streitbeilegung, die Beihilfenüberwachung bis hin zum Decision-Shaping in wichtigen EU-Gremien wurden nun auf einer übergeordneten Ebene angegangen. Sektorspezifische Lösungen waren nicht mehr möglich.

Verhandeln mit der EU: Wäre ein technischer Ansatz zielführend?

Generell kritisieren Finger/Van Baal, dass das Bundesamt für Energie (BFE) in den Stromverhandlungen zu politisch unterwegs gewesen sei. Sie sind der Ansicht, dass sich auf der technischen Ebene Lösungen hätten ergeben können. Da aber scheinen mir die Autoren aus einer Elfenbeinturmperspektive zu urteilen. Natürlich werden in derartigen Verhandlungen auch technische Fragen behandelt, aber man braucht an der Heimatfront Mehrheiten dafür. Als die grossen Stromunternehmen um 2010 drohten, den Bund mit Milliardenklagen einzudecken, falls sie ihre Privilegien auf den Stromleitungen nach Frankreich ersatzlos verlören, war auch eine technisch noch so elegante Lösung chancenlos. Am Ende braucht es in der Schweiz halt immer gute Argumente, ausgewogene Lösungen und politische Mehrheiten.

Weder Alleingang noch Hinhaltestrategie erfolgversprechend

Nachdem sich Finger/Van Baal in ihrem Text ausführlich mit den wesentlichen Herausforderungen im Energiebereich, nämlich Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit, Digitalisierung und Energiegerechtigkeit auseinandergesetzt haben, präsentieren sie zwei mögliche Szenarien für den künftigen Umgang mit der EU. Ein Szenario Alleingang sowie ein Durchhalte- und Hinhalteszenario, welche die Autoren aber beide nicht befriedigen. Vielmehr solle die Schweiz quasi wie in den Fünfzigerjahren mit dem Stern von Laufenburg eine führende Rolle in Europa einnehmen.

Energieführerschaft in Europa anstreben?

Zur Umsetzung dieser Energieführerrolle auf europäischer Ebene schlagen Finger/Van Baal vor, eine ganze Reihe von Regulierungsbestimmungen der EU auch ohne Stromabkommen einfach mal zu übernehmen und in der Schweiz autonom umzusetzen. Dazu gehört etwa die vollständige Marktöffnung, die Begrenzung staatlicher Beihilfen, die REMIT-Gesetzgebung wie auch eine EU-kompatible Gasmarktregulierung. Im Sinne einer grossen diplomatischen Initiative sollen dann zusätzlich Fragen wie die Marktkoppelung beim Intraday- und Day-ahead -Markt mit der EU verhandelt werden. Auch in der Energieforschung soll eine engere Zusammenarbeit angestrebt werden.

Ob derartige Ideen nicht jenen Kräften Auftrieb geben, die immer wieder behaupten, die Schweiz verhandle in Brüssel zu wenig hart und beuge sich dem Diktat? Warum soll es für Nebenpunkte wie den Intraday-Handel diplomatische Initiativen geben, aber keine Verhandlungen über die weit zentraleren Fragen geführt werden, mit denen Übergangsbestimmungen und Fristen für eine sanftere Umstellung in Etappen gefunden werden könnten?

Zurück zum Musterknaben?

Finger/Van Baal schwebt vor, dass die Schweiz wie in den Fünfzigerjahren für Europa ein leuchtender Stern werden könnte, dem die anderen Länder Europas folgen würden. Für mich ist dies ein ziemlich akademischer Traum. Denn die für Energie- und Klimapolitik wesentlichen Regulierungen werden nicht mehr in den einzelnen Ländern, sondern gemeinsam in den EU-Gremien gemacht. Und dort setzt sich nur durch, wer mit am Tisch sitzt, akzeptiert ist und seine Interessen klug einbringt.

Das zeigt sich auch daran, dass die Schweiz im Ranking des World Energy Council zwar seit einigen Jahren den ersten Platz weltweit belegt, sich das Interesse anderer Länder, dem durchaus erfolgreichen Schweizer Weg zu folgen, aber dennoch in engen Grenzen hält. Ausserhalb der relevanten Institutionen Bestleistungen zu erbringen, reicht eben nicht, damit andere diese quasiautomatisch übernehmen.

Mogeln wir uns weiter um die Hauptfrage herum?

Solange wir nicht in den wirklich relevanten EU-Gremien angemessen mitwirken können, sind wir nicht mehr als die kleinen, etwas skurrilen Exoten, die zwar intelligente Lösungen für einige wenige gallische Dörfer entwickelt haben. Diese auf einem Markt von 500 Millionen Konsumenten auszurollen, dürfte eine (zu) grosse Herausforderung sein. Energiepolitik ist auch in der EU ein Aushandlungsprozess verschiedenster nationaler, regionaler sowie europäischer Interessen. Als Aussenstehender wird man dabei höchstens höflich zur Kenntnis genommen.

Und damit kommen wir zum Hauptmangel im Werk von Matthias Finger und Paul Van Baal. Sie präsentieren zwar eine visionäre Rolle der Schweiz im künftigen Energieeuropa, sie mogeln sich aber um die Hauptfrage herum: Das generelle Verhältnis der Schweiz zu Europa. Reicht für die Etablierung dieser „Energieführer-Rolle“ ein Freihandelsabkommen, brauchen wir ein INSTA oder sollten wir längerfristig eine Mitgliedschaft anstreben? Eine nüchterne Analyse dieser Frage, gerade auch im Licht der Erfahrungen der letzten Monate, könnte viele Knoten lösen.

7 Wünsche an François Vuille, den neuen Präsidenten EnFK

Die Energiefachstellenkonferenz (EnFK) der Kantone ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Dabei ist sie eine der wichtigeren Organisationen in der schweizerischen Energiepolitik. Dort versammeln sich die zuständigen Fachleute, die in den kantonalen Verwaltungen für Energiefragen zuständig sind und definieren gemeinsam die technischen aber auch politischen Ansätze und Positionen. Ihre Chefinnen und Chefs sind die für Energiepolitik in den Kantonen zuständigen Regierungsräte. Sie kommen zwar zweimal jährlich in der Energiedirektorenkonferenz (EnDK) zusammen, sind aber gleichzeitig noch für den öffentlichen Verkehr, für Umwelt, Hoch- und Tiefbau, Raumplanung, oder Biodiversität zuständig, und können darum kaum mehr als 10 Prozent ihrer Zeit für Energiefragen einsetzen. Deshalb vertrauen sie bei ihren Entscheidungen gerne auf die Vorarbeiten und Empfehlungen ihrer Techniker und Ingenieure. Sei es bei den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), sei es bei der Verteilung der Gelder für das Gebäudeprogramm oder bei den Weichenstellungen bezüglich Stromnetze oder Wasserkraftnutzung.

Grosse Nähe zur Stromwirtschaft

Die EnFK wurde seit ihrer Gründung immer von Vertretern der Deutschschweizer Kantone geleitet. Hansruedi Kunz, im Kanton Zürich im AWEL für das Energiedossier zuständig, präsidierte sie während 17 Jahren. Er hat sie in einer bewegten Zeit geführt, war engagiert, technisch versiert, pflegte die Details, hatte aber klare politische Vorlieben. So war er in der Wärmeerzeugung sehr stark auf den Einsatz von Strom fixiert. So stark, dass nicht nur die Gasbranche lästerte, dass er und sein AWEL-Team eine ausgelagerte Marketingabteilung der Axpo sei.

Ein neuer Präsident mit deutlich anderem Profil

Gerne hätte der Kanton Zürich weiterhin den Präsidenten der EnFK gestellt. Doch die Romandie stellte sich dagegen und meinte, dass sie nun auch mal am Zug sei. Mit dem Chef der Waadtländer Energiefachstelle, François Vuille, präsentierte sie einen Kandidaten, der nicht nur den bevölkerungsmässig grössten Westschweizer Kanton kompetent vertritt, sondern in den vergangenen Jahren als Chef des Energy Science Centers der EPFL auch eine breite Sicht gewonnen und sich stark für Innovationen und Startups der Energieszene eingesetzt hat.

7 Wünsche an François Vuille zum Start ins neue Amt

Ich arbeitete mehr als die Hälfte meiner Berufsjahre in kantonalen Verwaltungen und habe während 12 Jahren die Energiefachstelle des Kantons Solothurn geführt. Ich weiss, wie schwierig es ist, neben den alltäglichen Geschäften noch genügend Ressourcen für die EnFK und insbesondere für die Arbeit in deren technischen Arbeitsgruppen aufzubringen. Darum habe ich an den neuen Präsidenten der EnFK, François Vuille, ein paar Inputs und Wünsche:

Wunsch 1: Brich die Konzentration auf den Strom für die Wärmeerzeugung im Gebäude auf und gib anderen Energieträgern eine faire Chance. Mit Blick auf die Stromlücke im Winter sollten Alternativen breit geprüft werden. Wir haben uns vor kurzem an der Einweihung einer innovativen Anlage zur Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff gesehen. Das ist ein erfreuliches Signal, dass auch Du einen breiten Wärme-Mix anstrebst.

Wunsch 2: Lass Städte und Gemeinden die Umsetzung des „Netto-Null“-Ziels 2050 parzellenscharf in ihren kommunalen Energierichtplänen aufzeigen und umsetzen. Nur wenn sie sich jetzt mit diesem Thema befassen, haben wir angesichts der langen Investitionszyklen eine Chance, die Ziele zu erreichen.

Wunsch 3: In den dichtbesiedelten Gebieten des Mittellands sollen Heizung und Kühlung nicht mehr als Aufgabe jedes einzelnen Gebäudes angesehen werden: Nutze die Chancen der Fernwärme. Lass kommunale Fernwärmenetze jetzt als wesentliches Element kommunaler Energierichtpläne vorbereiten und in den nächsten Jahren schrittweise realisieren.

Wunsch 4: Überleg Dir, ob es die mit vielen technischen Details überladenen MuKEn braucht, wie sie Deine Vorgänger immer wieder fortgeschrieben haben. Wäre es nicht einfacher, ein Ziel wie Null-Energie oder Plus-Energie vorzugeben, auf die SIA-Normen etc. zu verweisen und darauf hinzuweisen, dass diese Ziele im Betrieb – und nicht nur bei der Baueingabe auf dem Papier – erfüllt sein müssen und von den Behörden kontrolliert werden?

Wunsch 5: Lass Dich vom Kooperationsgedanken und nicht vom juristischen Denken in Verfassungsbestimmungen leiten. Zu lange haben die Kantone darauf gepocht, dass primär sie und nicht der Bund für den Gebäudesektor zuständig sind. So wurden sinnvolle Initiativen mit dem BFE nicht oder nur halbherzig vorangetrieben. Die aktuelle Kampagne „Erneuerbar heizen“ mit den Impulsberatungen ist der Beweis, dass man zusammen mehr erreichen kann.

Wunsch 6: Wir beide wissen, dass die Energiefachstellen der Kantone und Städte mit Alltagsarbeiten mehr als ausgelastet sind. Zeit zum Entwickeln von neuen Lösungen und den dafür nötigen Regulierungen fehlt. Wie wäre es, wenn Kantone, Städte und Gemeinden zusammen mit dem BFE einen kleinen Think-Tank (beispielsweise an der EPFL) schaffen würden? Dieser könnte zukunftsträchtige Vorschläge fachlich kompetent abseits der alltäglichen Geschäfte erarbeiten.

Wunsch 7: Eine neue Studie zeigt, dass zwischen 40 und beinahe 90 Prozent der fossilen Heizungen wieder durch eine fossile Heizung ersetzt werden. Das ist nicht allein eine Frage von Bequemlichkeit oder mangelnden Finanzen. Es liegt auch daran, dass ein Laie mit der Planung und Realisierung eines Umstiegs zu erneuerbaren Energien bald schon mal überfordert ist. Erste Kantonen stellen für derartige Projekte qualifizierte Bauherrenbegleiter zur Verfügung. Sie unterstützen die zwar motivierten aber nicht immer versierten Bauherren, helfen bei der Planung und der Koordination der einzelnen Handwerker. Dieser Ansatz muss ausgebaut werden. Statt grossen flächendeckenden Kampagnen braucht es mehr individuelle Unterstützung für die, die etwas bewegen und den Gebäudepark Schweiz Richtung Netto-Null bringen wollen.

Lieber François, ich freue mich, von Deinen Entscheiden und Taten zu lesen und bald die Früchte Deiner Arbeit zu sehen. Viel Glück und Erfolg!

90 Jahre BFE: Aus der Geschichte lernen?

Das Bundesamt für Energie wurde am 1. Oktober 1930 gegründet – es ist also jetzt genau 90 Jahre alt. Zu diesem Jubiläum gibt es keine rauschenden Feste und dicke, mit viel Selbstlob gespickte Festschriften, aber das BFE nimmt diese Tage zum Anlass, um uns die Geschichte, die wesentlichen Änderungen sowie die verantwortlichen Treiber zu präsentieren.

Wie alles anfing….

Eher halbherzig hat der Bundesrat auf Druck des Parlaments die Gründung des Bundesamt für Elektrizitätswirtschaft begleitet – er musste etwas tun, um den Vorwurf des privilegierten Exports des Stroms aus Wasserkraft zu parieren. Auch sollte das Amt die unterschiedlichen Produktionsbedingungen der Winter- und Sommerenergie (jawohl Peter Bodenmann, das ist nichts Neues) abklären, Ausfuhrgesuche prüfen und gemeinsam mit den Interessenten Richtlinien für die Elektrizitätswirtschaft aufstellen. Die Details sind im BFE-Blog Energeia plus zu finden

https://energeiaplus.com/2020/09/30/90-jahre-bundesamt-fuer-energie-wie-der-steigende-stromexport-1930-zu-.

3 von 5 BFE-Direktoren im Gespräch

Nach 90 Jahren ist jetzt der fünfte Direktor im Amt – die durchschnittliche Amtsdauer der ersten vier lag also bei über 20 Jahren. Alleine in meiner Amtszeit 2001 – 2016 hatte ich in allen umliegenden Ländern je 3-4 Kolleginnen und Kollegen: dort wird die Position als derart politisch relevant angesehen, dass jeder Regierungswechsel beinahe automatisch auch zu einer neuen Person an der Spitze des Energiebereichs führt. Bei uns überdauern Amtsdirektoren die Bundesräte, welche sie gewählt haben, die BFE-Direktoren dienen Chefs unterschiedlicher politischer Parteien und schliesslich dem Volk, weil dieses zu den einzelnen Energie-Vorlagen Ja oder Nein sagen kann oder muss.

Kurz vor dem 90-Jahr-Jubiläum haben sich die Direktoren Kiener, Revaz sowie Steinmann zu einem Gespräch getroffen und sich über die Hauptereignisse ihrer Amtsjahre unterhalten. Dieses Video wurde am 1. Oktober vom BFE aufgeschaltet.

https://energeiaplus.com/2020/10/01/90-jahre-bundesamt-fuer-energie-drei-direktoren-im-gespraech/

Die wesentlichen Etappen der Schweizer Energiepolitik

Früher wurden zu Jubiläen Festschriften publiziert, heute beschränkt sich auch das BFE auf eine Online-Publikation der Energiepolitik in den vergangenen 90 Jahren, in welche viele historische Dokumente eingewoben sind: vom Bundesratsentscheid zur Wahl des zweiten Amtsdirektors Hans-Rudolf Siegrist über das erste Protestschreiben der Pro Niederamt gegen das geplante KKW Gösgen bis zum träfen Spruch Willy Ritschards „Ich kann Ihnen verbindlich versichern, dass es mit der Energie nicht so schlimm wird, dass wir die Bretter vor den Stirnen verheizen müssen“. Dieser gut zwanzigseitige Rückblick wird am Freitag 2. Oktober aufgeschaltet.

https://energeiaplus.com/2020/10/02/90-jahre-im-dienst-der-energieversorgung-der-schweiz/

Die vier Hauptachsen

Die politischen Auseinandersetzungen sowie Konflikte (bis hin zur Besetzung des Kaiseraugst-Geländes) der Elektrizitäts – und Energiepolitik der vergangenen 90 Jahre verliefen entlang von vier Hauptachsen:

  1. Autarkie der Schweiz versus europäische/internationale Einbindung
  2. Freier Markt (ungleich Wettbewerb) versus Regulierung
  3. Gemeinde- und Kantonsfreiheiten versus Bundeskompetenzen
  4. Nutzen- versus Schutzinteressen

Erwähnenswert ist auch, dass in diesen 90 Jahren die präsentierten Vorlagen kaum je im ersten Durchgang Volks- und Ständemehrheiten erhielten, es brauchte 2-3 Anläufe für den Verfassungsartikel, die Energiegesetze, die Liberalisierung des Strommarktes und auch die Lenkungsabgaben. Es wurden auch immer wieder Atom-, Abgaben-, Wasser- oder Landschaftsschutz-Initiativen lanciert, welche zumindest als Moratorium wirkten oder in abgeschwächter Form später Eingang in die Gesetzgebung fanden.

Max Webers geflügeltes Wort „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich“ ist für die Schweizer Energiepolitik mehr als zutreffend, es ist eine prägnante Zusammenfassung von 90 Jahren Energie-Geschichte der Schweiz.

Welche Zukunft für die Schweizer Wasserkraft?

Verschiedenste Anlässe der Energiewirtschaft wie die Smart Energy Party wurden für 2020 abgesagt. Das Swiss Economic Forum SEF fand zwar vor kurzem in Montreux statt, die Reaktionen der Teilnehmenden waren gemischt: die Schwester-Veranstaltung Swiss Innovation Forum SIF wird deshalb im November als rein digitales dreitägiges Festival ablaufen. Eben wurden die Powertage ein zweites Mal nun auf Juni 2021 verschoben, ob die e-world im kommenden Februar in Essen stattfinden wird, ist offen.

Beinahe jeder Kanton macht andere COVID-Vorgaben für Veranstaltungen, nur bei den grösseren Sportveranstaltungen kann man von einer in etwa einheitlichen Umsetzung sprechen. Wenn wir an Veranstaltungen teilnehmen, merken wir, wie lähmend für das Gespräch die Vorgaben (teils mit Masken) sind und wie wichtig für uns als soziale Wesen neben all dem digitalen Austausch per Skype, Zoom, Teams, Webex etc. zwischendurch der persönliche Kontakt, das Schauen in das andere Gesicht, die Mimik des Gegenübers oder auch nur das Flackern oder Leuchten der Augen des Gesprächspartners für uns sind.

Vom Massenevent zu digitalen Formaten und einem…

Ich habe im vergangenen Jahr im Content Board des Europaforums Luzern mitgewirkt, welches im Rahmen des Jahresthemas „Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit“ neben anderen Themen auch einige spannende Fragen der Energieversorgungssicherheit anschneiden wollte. Angedacht war wie üblich ein zweitägiger Event im KKL Luzern, zu welchem jeweils über 1000 Personen für die Hauptsession erwartet werden. Schon bald nach den ersten Coronanachrichten haben wir mit einer totalen Überarbeitung begonnen und verschiedenste Gespräche und Talks fanden rein digital statt.

So unterhielten sich Doris Leuthard und der Direktor des Berliner Instituts für Internationale Politik und Sicherheit, Volker Perthes, über Sicherheit und Unsicherheit.

Der Hacker Ivan Bütler erzählte, wie er in einen Stromversorger eingebrochen ist und den Strom abgeschaltet hat oder der Cyber-Delegierte des Bundes Florian Schütz berichtet in einem Webcast über die Cyber-Strategie des Bundes

…ersten Kleinanlass in einem Kraftwerk

Gestern nun fand die erste Europaforum-Veranstaltung zum Jahresthema statt, bei der 50 Personen physisch präsent sein konnten. Sie wurde tief im Grimselmassiv in der Turbinenhalle von Handeck 2 durchgeführt. Die in den Jahren 2013-2016 neu gebaute riesige Kaverne Handeck 2 ist höchst imposant, die eigentliche Turbine befindet sich in 12 Metern Tiefe im Fels, im Saal bestechen ein riesiger Kranzug sowie ein Deckel, auf dem das Podium zur Wasserkraft stattfand. Da wird eben auch sichtbar, dass Wasserkraft im Vergleich zu PV sehr kapitalintensiv ist und entsprechend die hohen Investitionen verzinst sowie abgeschrieben werden müssen.

Strategie Schweizer Wasserkraft: Autarkie oder Batterie Europas?

Die KWO hatten sich bereiterklärt, diese Veranstaltung zum Thema Wasserkraft in ihrem Räumen durchzuführen. CEO Daniel Fischlin präsentierte in einem spannenden Einführungsreferat die vielfältigen Herausforderungen, vor denen die Produzenten aktuell stehen. Er zeigte aber auch auf, welche weiteren Investitionen im Grimselgebiet möglich sind und wie der sich bildende Gletscherrandsee Trift künftig für die Versorgungssicherheit unseres Landes genutzt werden könnte.

Im anschliessenden Leadership-Talk stellten sich Phyllis Scholl (Verwaltungsrätin bei Alpiq, Energiedienst und EW 3 Höfe), Maurice Dierick (Leiter Market Swissgrid) und Marianne Zünd (Leiterin Medien und Politik BFE) zusammen mit Daniel Fischlin den Fragen von Sven Millischer. Von Phyllis Scholl wurde postuliert, dass sich die aktuellen Probleme nur lösen lassen, wenn im Strombereich wie in anderen Bereichen der Wirtschaft der Kunde ins Zentrum gestellt wird: er sollte eigentlich bereit sein, für die Versorgungssicherheit etwas zu bezahlen. Marianne Zünd nahm diesen Gedanken auf und folgerte, dass die Schweizerinnen und Schweizer mit ihrer Vorliebe, alles und jedes versichern zu lassen, vielleicht sich auch zu einer Versicherungsprämie für Versorgungssicherheit Strom bereiterklären könnten.

Schweizer auf Guerilla-Pfaden?

Maurice Dierick berichtete, dass wegen des fehlenden Stromabkommens heute die Schweizer Vertreter sich in den zuständigen europäischen Branchengremien wie ENTSO-E beinahe nur noch dank einer Guerilla-Strategie wie etwa Präsenz als Protokollführer oder Erbringer anderer Hilfeleistungen noch einbringen können. Auf der kommerziellen Seite haben die Schweizer Stromanbieter immer mehr Barrieren zu überwinden und können die Produkte nicht mehr zu denselben Bedingungen wie die europäische Konkurrenz anbieten: das wirkt sich auf die Ergebnisse der Stromfirmen immer stärker aus.

Die Zukunft der Wasserkraft 2050+

Daniel Fischlin zeigte auf, dass für Neuinvestitionen in grössere Wasserkraftwerke, welche wiederum für 80 Jahre Strom liefern werden, die Rahmenbedingungen aktuell zu unsicher sind. Hier müssten der Bund aber auch die Kantone in den nächsten Jahren klare Signale aussenden und gleichzeitig die Fachämter Themen wie Biodiversität und Aufnahme von Gebieten in nationale Schutzkataster mit Augenmass angehen.

In ihrem Schlussvotum präsentierte Marianne Zünd zwei zentrale Ergebnisse der im November erscheinenden neuen Energieperspektiven des BFE, welche über das Jahr 2050 hinaus eine Sicht geben sollen:

1.            Energieversorgungssicherheit lässt sich in unserem Land nur zusammen mit unseren Nachbarn sowie Europa garantieren.

2.            Die Wasserkraft wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen: sie wird insbesondere eine wichtige Funktion beim Ausgleich der anderen erneuerbaren Energien wie PV, Wind, Biomasse etc. übernehmen und damit ein unumstösslicher Pfeiler unserer Versorgungssicherheit sein.

Der Webcast zum Grimsel-Event wird heute bei

https://www.europaforum.ch

aufgeschaltet. Das Europaforum wird weitere Themen wie „Die Zukunft von Gas als Teil unserer Energieversorgung“ und „Welche Netze brauchen wir?“ in den nächsten Leadership-Talks aufnehmen.


 Dieser Text erscheint am 24. September im Energate Messenger Schweiz

Wie trotzen start-ups der Corona-Krise?*)

Viel wurde in den vergangenen Wochen darüber berichtet, wie einzelne Branchen und Firmengruppen die Corona-Krise bisher gemeistert haben, welche Unterstützungen sie erhalten haben und wie sie sich auf dem Binnen- und dem internationalen Markt positionieren konnten. Laut und fordernd setzten sich die Gastronomie- und Beherbungsbranche in Szene. Die professionellen Sportclubs stimmten ein herzzerreissendes Klagelied an. Und die verarbeitende Industrie von Metall über Maschinen bis hin zu Textil nutzte gekonnt die langjährige Zusammenarbeit mit dem Staat, im Bewusstsein, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Covid-Kredite und Kurzarbeitsentschädigung konzeptionell primär auf die traditionellen Unternehmen des Industriestandorts Schweiz ausgerichtet sind.

Das Schlimmste bereits hinter uns?

Aktuell sieht es aus, als hätte sich die befürchtete tiefe Rezession vermeiden lassen. Auch während des Lockdowns arbeitete ein Grossteil der Wirtschaft (teils voll im Homeoffice) und trug zu Wertschöpfung und Wohlstand bei. Unklar sind die Auswirkungen auf die Exportwirtschaft, die stark von der internationalen, insbesondere der europäischen Konjunktur abhängig ist. Hier könnten auf die Kurzarbeit Entlassungen und Redimensionierungen folgen. Verschiedene Branchen stehen aber auch vor radikalen Anpassungen, weil sich das Verhalten von uns Konsumenten sowie Arbeitnehmerinnen wegen Corona definitiv verändert hat und die Nutzung digitaler Tools gelebter Alltag geworden ist. Einiges wurde in den letzten Wochen über die möglichen Gewinner und Verlierer dieser Trends geschrieben. Doch wie steht es bei den Startups im Energie- und Klimabereich? Hier einige Beobachtungen aus Sicht eines Begleiters solcher Jungunternehmen.

Entscheidende Faktoren sind Strategie, Spirit und Brainpower

Ich habe in den letzten Monaten von keinem Cleantech-Startup gehört, das wegen Corona in Konkurs gegangen wäre. Die jungen Unternehmen sind strategisch meist gut aufgestellt, haben einen erstklassigen Spirit, motivierte Teams und viel Brainpower. Sie verfügen über klare Pläne und meist auch geregelte Finanzierungen. Corona hat zwar den Austausch mit den Kunden und Partnern verlangsamt, doch radikale Einbrüche bei Projekten und Aufträgen gab es kaum. Vielmehr hat Corona aufgezeigt, dass Innovationen und digitale Ansätze jetzt vordringlich umgesetzt werden müssen. Deshalb werden die entsprechenden Lösungen von den Kunden verschiedener Startups vermehrt nachgefragt.

Coaches und Beiräte als Unterstützer

Die meisten Startups haben auf ihrem Weg in die Selbständigkeit Kompetenz gewonnen und Businesspläne geschrieben. Innosuisse hat ihnen Coaches als Begleiter zur Seite gestellt, die ihnen den Zugang zu Netzwerken in Fragen des Marketings, IPO, strategischer Ausrichtung oder internationaler Präsenz ermöglichen. Venturekick, kantonale Wirtschaftsförderungen, Impact Hubs und start-up-Accelerator machen einen hervorragenden Job bei der Begleitung von Jungunternehmen. Nicht wenige Jungunternehmen haben auch Beiräte eingesetzt, die den Geschäftsgang eng begleiten, vor wichtigen Entscheiden die nötigen kritischen Fragen stellen und bei Bedarf Türen bei Kunden, Banken und Behörden öffnen. Zudem kommen immer mehr Jungunternehmen dazu, ihre Verwaltungsräte mit externen Fachleuten zu besetzen, weil diese eine andere Sicht einbringen. Speziell in der heutigen Phase des Changes, den auch die Startups spüren, sind Beiräte und auch unabhängige Verwaltungsräte wichtige Sparringpartner, die zu einem realistischen und zukunftsweisenden Kurs beitragen können.

Grossfirmen als Startup-Förderer

Einige Grossfirmen haben in den letzten Jahren eine Startup-Förderstrategie entwickelt: Sie sind bereit, sich mit Kapital und Erfahrung bei einzelnen Jungunternehmen zu engagieren. Pionierin solcher „Kooperationsstrategien“ war Energie 360° mit ihrem Smart Energy Innovation Fund SEIF, der heute eine grössere Zahl an Beteiligungen im Cleantech-Sektor hält. Inzwischen haben auch andere grössere Energie-Player eine Förderstrategie definiert. Sie beteiligen sich bei einzelnen Startups und motivieren teils auch interne Teams, sich als Startup autonom zu entwickeln. Bis hin zu Grossverteilern besteht die Bereitschaft, sich bei den Startups einzubringen. Man erhofft sich dadurch nicht nur finanzielle Vorteile (falls es sich um ein eigentliches «Einhorn» mit späterem Börsengang handelt), sondern man möchte auch den Spirit und die Coolness der Startups zu einem Teil der eigenen Unternehmenskultur machen. Zudem werden auch einige Startups vollständig übernommen, weil Produkt, Markt und Mitarbeiter bestens zur Firma passen und einen Beitrag zur Zukunftssicherung leisten können.

Make or buy

Bemerkenswert auch, dass nicht wenige der digitalen Startups bereits einen Teil der IT-Entwicklung in kostengünstigere Länder verlagern. Was vielleicht mal als supranationales EU-Forschungsprojekt startete, ist nun in der Umsetzung im Wirtschaftsalltag angekommen. Und da sind eben Entwickler in Barcelona oder Kiew deutlich günstiger als im Grossraum Zürich, wo zudem Google und all die andern Grossen permanent versuchen, den Startups die Cracks mit verlockenden Angeboten abzuwerben.

Und die Covid-Kredite?

Keine radikalen Einbrüche, aber Corona bedingte Verzögerungen und finanzielle Engpässe gab es auch bei den Startups. In der ersten Runde der Covid-Kreditzusagen kamen sie aber kaum zum Zug, weil bei der Kredithöhe ja der Umsatz 2019 massgebend war. Als der Bund dann für die Startups nachbesserte, spielte der Föderalismus plötzlich eine zentrale Rolle: Der Bund übernimmt nur 65% der Bürgschaftssumme, der Kanton muss die restlichen 35% garantieren. 21 Kantone haben sich für ein Engagement entschieden und leisten zudem teils recht grosszügige Zusatzhilfen. Der Kanton Zürich aber, in dem dank Spin-offs der ETH und anderer Forschungszentren besonders viele Startups domiziliert sind, hat auf die Übernahme dieses Bürgschaftsteils verzichtet und die Startups im Regen stehen lassen. Ein Armutszeugnis für diesen für Innovation und wirtschaftliche Dynamik wichtigen Kanton, welcher ein eigenes Programm aufstellen wollte, das aber weit höhere Hürden als der Weg über die bewährten Bürgschaftsgenossenschaften aufwies.

Geballte Ingenieurkompetenz für Dritte statt Konkurs

Einige Startups überbrücken die aktuelle Auftragsflaute und Verzögerungen bei der Markteinführung ihrer Produkte und Technologien mit dem vermehrten Bearbeiten von Ingenieuraufträgen für Dritte. Dadurch können sie kurzfristig Cash generieren und Arbeitsplätze erhalten. Sie eifern damit Toni Gunzinger und seiner Supercomputing Systems AG nach. 1993, in der Startphase seines Unternehmens, hatte er einen der weltweit ersten Supercomputer entwickelt, konnte diesen aber nicht rechtzeitig breit auf dem Markt ausrollen. Den Konkurs seiner Firma vermied er dank dem gezielten Ausrichten auf Drittaufträge. Heute zählt er zu den gefragtesten Problemlösern für Dritte, der nicht nur in den Bereichen Bildverarbeitung, IoT, Energie oder Blockchain tätig ist, sondern auch Firmen wie SRG, Deutsche Bahn, BKW oder Mercedes zu seinen Kunden zählt. In den nächsten Monaten und Jahren könnten ihm einige weitere Startups auf diesem Weg folgen.

Weiter das Ziel vor Augen

Die meisten Startups haben in ihren Businessplänen klare strategische Ziele formuliert, welche sie mittelfristig erreichen wollen. Corona führt dazu, dass nicht alle in diesen Plänen skizzierten Routen wie geplant beschritten werden können. Die meisten Jungunternehmen sind flexibel genug, Änderungen sowie Kurskorrekturen vorzunehmen, ohne dabei das Ziel aus dem Auge zu verlieren. Nicht wenige haben auch in den vergangenen Monaten extreme Leistungen erbracht und gleichzeitig eine hohe Opferbereitschaft bei den Entschädigungen gezeigt, weil sich der finanzielle Rahmen nicht erwartet entwickelt hat: man nimmt kurzfristig bei den Löhnen Reduktionen in Kauf, weil man an das langfristige Überleben und Gedeihen des Unternehmens glaubt. Gute Voraussetzungen, um den Startups später einen breiten Rollout auf den Märkten zu ermöglichen.

*)ich danke Pol Budmiger für wertvolle Diskussionen und wichtige Hinweise bei der Erarbeitung dieses Textes

Was CO2-Vorgaben mit Manager- und Verkäuferboni zu tun haben

2003 brauchte ich ein neues Auto. Als BFE-Direktor fand ich es zwecks Vorbildfunktion angebracht, ein ökologisches Zeichen setzen. Also sollte es ein VW Golf mit Gas- und Dieselantrieb werden. Diesen auch wirklich zu kaufen, war dann aber gar nicht so einfach. Nicht nur musste ich dem VW-Verkäufer die CO2-Vorteile dieses Wagens näherbringen, sondern ihm auch klarmachen, dass dieser Wagen preislich durchaus mit den anderen Modellen, die er mir viel lieber hätte verkaufen wollen, mithalten konnte. Dies dank einer grosszügigen Prämie des regionalen Gasversorgers. Da wurde mir klar, welche zentrale Rolle der Verkäufer beim Autokauf spielt: Sein Fachwissen, seine Boni, seine Deals mit Occasionshändlern aber auch die Flottenrabatte und andere Vergünstigungen, die er anbieten kann.

Haben Sanktionen überhaupt eine Wirkung?

Beinahe ein Jahrzehnt später, nämlich 2012, traten in der Schweiz die CO2-Emissionsvorschriften für Neuwagen in Kraft. Neu zugelassene Autos sollten ab da nicht mehr als 130 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen. Verfehlten sie dieses Ziel, wurde eine Sanktionsabgabe für den Autoimporteur fällig. Externe Experten schätzten damals, dass die Sanktionen gesamthaft wohl gegen 50 Millionen Franken pro Jahr betragen würden, was in der Finanzkommission des Ständerates zu heftigen Debatten führte. Es wurde moniert, dass es sich um eine trickreiche neue Einnahmequelle des Staates durch die Hintertür handle, denn die Sanktionen würden weder die Entscheide der Autokäufer noch Importeure wirklich beeinflussen. Der PS-begeisterte Käufer nehme diesen Zusatzbetrag wohl einfach in Kauf, weil er es sich ja leisten könne. Wenig fruchteten denn auch meine Erklärungen gegenüber einem profilierten Luzerner Standesherren, dass das Ziel der Sanktionen eben nicht möglichst hohe Einnahmen für den Bund, sondern die Erreichung der CO2-Ziele sei.

Sanktionen wirken, aber erst, wenn sie anfangen weh zu tun

Grosses Erstaunen dann im Folgejahr in der Finanzkommission: Anstatt 50 Millionen Franken beliefen sich die Sanktionszahlungen auf nur etwas mehr als 3 Millionen Franken. Denn die Autoimporteure fanden sich rasch und geschickt mit dem neuen Regime zurecht und hatten sich in Gemeinschaften von Marken mit hohem und tiefem CO2-Ausstoss zusammengeschlossen. So wurde dann im Durchschnitt das Ziel der 130 g CO2/km kaum überschritten.

Erst in den folgenden Jahren stiegen die Sanktionszahlungen deutlich an. Grund dafür war, dass immer mehr stark motorisierte und schwere Fahrzeuge mit hohem Treibstoffverbrauch importiert, kräftig beworben und verkauft wurden. Dieser Trend hält bis heute unverändert an, was das Erreichen der seit 2020 geltenden neuen Emissionsvorschriften von 95 g CO2/km nicht gerade vereinfacht und die Sanktionszahlungen künftig weiter in die Höhe treiben könnte.

Die ungeliebte „Serie Egloff“

Mit steigenden Sanktionszahlungen steigt auch der wirtschaftliche Druck auf die Importeure. Vielen Herstellern und Importeuren wurde bewusst, dass es sinnvoll sein könnte, mehr CO2-arme Fahrzeuge zu verkaufen. So gab BMW dem Schweizer Importeur schon 2017 das Ziel vor, die Verkäufe derart zu gestalten, dass keine Sanktionszahlung fällig würde. Gegen Ende des Jahres 2017 stellte der CEO von BMW Schweiz, Kurt Egloff, mit Schrecken fest, dass er dieses Ziel verfehlen würde. Geschickt importierte er noch – wie die Branche erzählt – zwei Fussballfelder voller Elektrofahrzeuge BMW i3. Er löste diese für einen Tag ein und konnte mit diesem Trick das vorgegebene Ziel 2017 doch noch erreichen. Doch die Zentrale in München kam Egloff auf die Schliche und setzte ihn unverzüglich vor die Tür.

Gegen Ende 2018 wurde dann allen Teilnehmenden des SBB-Pilotprojekts Green Class, zu denen ich gehöre, ein neuer BMW i3 angeboten. Nicht wenig erstaunt war ich, als ich zwar ein nigelnagelneues Fahrzeug erhielt, dieses aber die Batteriekapazität des Vorjahresmodells und damit die deutlich geringere Reichweite aufwies. BMW hatte die „Serie Egloff“ auf diesem Weg definitiv in den Schweizer Markt eingeschleust.

Bessere Margen, Rabatte und Incentives für E-Fahrzeuge

Bei den Importeuren dämmerte es nach dem brutalen Abgang von Kurt Egloff, dass Elektrofahrzeuge im Markt nur dann erfolgreich sind, wenn sie mindestens von den gleichen Konditionen und Sonderbedingungen wie Diesel- und Benzinfahrzeuge profitieren können. So wurden auch für Elektrofahrzeuge endlich Flottenrabatte möglich, und die einzelnen Verkäufer mit Bonus- und anderen Programmen motiviert, ihren Kunden den Kauf CO2-armer Autos schmackhaft zu machen.

Aber die Schulung der Verkäufer müsste wohl noch umfassender angegangen werden. Sie sollten in der Lage sein, jedem Interessenten auf Franken und Rappen aufzuzeigen, dass ein Elektroauto über seine Betriebsdauer dank tieferen Treibstoff- und Unterhaltskosten, sowie der aktuell nicht zu bezahlenden Mineralölsteuer deutlich günstiger ist. Der etwas höhere Kaufpreis wird damit voll und ganz kompensiert.

Klimaziele erreichen mit klugen Salär-Anreizen

Das BMW-Management in München hat nun eine nächste Stufe ihrer Klimastrategie gezündet. Die CO2-Emissionen pro Fahrzeug sollen bis zum Jahr 2030 um 40% gesenkt werden. In der eigenen Produktion ist gar eine Reduktion von 80% geplant. Der Wert bei den verkauften Autos soll von 127 g CO2/km im Jahre 2019 bereits dieses Jahr um 20% runterkommen. Ein sehr ambitiöses Ziel, solange die Firma mit dem BMW i3 heute nur gerade ein Elektrofahrzeug anbietet. Um diesen Ansätzen mehr Schub zu geben, werden die Entschädigungen des Topmanagements an die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele geknüpft. Ich bin überzeugt, dass sich diese ambitiösen Klimaziele erreichen lassen, wenn in der gesamten Gruppe vom Management bis hin zum Verkäufer in der Filiale in der Schweiz Löhne und Entschädigungen mit der Erreichung von Klimazielen gekoppelt werden. Ob andere Autoproduzenten nachziehen?

Mit der Klimajugend unterwegs

Der Kanton Glarus gilt in den Zentren unseres Landes nicht gerade als Ort der Moderne. Viele meinen, diese Region habe nach dem Niedergang der Textilwirtschaft ihre besten Zeiten hinter sich, und werde sich im Sog der Metropolen Zürich und Zug kaum mehr eigenständig entwickeln können. Denn die beiden ältesten Glarner seien der Föhn und der Neid, man sei individualistisch eingestellt und habe nicht die Kraft, gemeinsam mit schwungvollen Projekten die Zukunft zu gestalten.

Überraschendes Glarus

Doch immer wieder macht der Kanton mit einzelnen – beinahe revolutionären – Entscheiden auf sich aufmerksam. Ein erstes Zeichen setzte die Glarner Landsgemeinde 2006 mit dem Beschluss, dass der Kanton statt aus 25 Gemeinden nur noch aus den drei Gemeinden Glarus-Nord, Glarus und Glarus-Süd bestehen solle. Innert weniger Jahre wurde dies umgesetzt. So konnten professionellere Strukturen geschaffen werden, was sich längerfristig auch ausgabenmässig positiv auswirken könnte. Ein zweites Mal staunte die Schweiz über den Kanton Glarus, als er 2007 das Stimmrechtsalter 16 auf Kantons- und Gemeindeebene einführte. Und jetzt klimabewegt sich etwas im Kanton, was für andere Kantone zum Vorbild werden könnte.

Klimajugend im Dialog mit der Regierung

Seit dem Frühjahr 2019 demonstriert in der Schweiz die Klimajugend. Es finden Umzüge statt, es werden am Freitag Reden gehalten und Forderungen aufgestellt. Im Kanton Glarus hat sich die Klimajugend anders aufgestellt. Zwar finden auch dort kreative Demonstrationen vor dem Rathaus statt, in Zeiten der Corona-bedingten Versammlungsverbote waren dies beispielsweise 151 Paar Schuhe und verschiedenste bunte Plakate. Aber parallel hat die Klimajugend den Dialog mit der Politik aufgenommen, um ihren Ideen, Wünschen und konkreten Forderungen zum Erfolg zu verhelfen.

Im vergangenen Jahr hat Professor Thomas Stocker der Glarner Klimajugend während zwei Tagen die wesentlichen Hebel der Klimapolitik präsentiert. Diesen Juni durfte ich in einem zweitägigen Workshop einzelne Projekte mit ihnen diskutieren. Spannend war, dass gleich zwei Regierungsmitglieder mit von der Partie waren: Energiedirektor Chäpp Becker (BDP) wie auch Volkswirtschaftsdirektorin Marianne Lienhard (SVP).

Ambitiöse Ziele: Klimaneutral 2030

Die Glarner Klimajugend will als Bewegung im Kanton eine Aufbruchsstimmung erzeugen, die viele Leute begeistern soll. Die Vision ist, bereits im Jahre 2030 als Pilotkanton klimaneutral zu sein. In diversen Veranstaltungen werden seit Monaten mögliche Schritte diskutiert, es werden alle wesentlichen Wirtschaftsgruppen eingeladen und man versucht, innovative Projekte gemeinsam zu lancieren. Die Klimajugend setzt sich vor der nächsten Landsgemeinde für ein griffiges Energiegesetz ein, sie unterstützt geplante Windkraftwerke, sie ergreift Initiativen, um gemeinsam mit den lokalen Elektrizitätsunternehmen, den Bauern aber auch den Konsumenten die Photovoltaik im Kanton massiv auszubauen.

Mobilität, Stromproduktion sowie Wärme neu denken

Die Klimajugend lädt Experten ein, um neue Mobilitätsansätze zu erörtern und von der bisher praktizierten „Problemlösung“, dem Bau neuer Umfahrungsstrassen, wegzukommen. Der öffentliche Verkehr soll attraktiver gemacht, Bahnhöfe mit Charging-Stationen für e-bikes und e-Autos ausgerüstet und neue Lösungen für den Transport von Paketen sowie Gütern gesucht werden. Und die Jugend will auch die bisherige Strom- und Gasversorgung ökologischer ausgestalten. So könnte der dem Kanton zustehende Anteil des Stroms aus dem Kraftwerk Linth-Limmern langfristig primär der einheimischen stromintensiven Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Das im Kanton verfügbare Holz könnte stärker genutzt und in Bilten ein eigentlicher Energiehub oder ein Energieschloss errichtet werden.

Wirtschaft und Bevölkerung sind offen – das erste Klimabüro

Ich habe bei meinem zweitägigen Besuch mit verschiedensten Vertretern der Wirtschaft sowie Politik diskutiert. Die Aufbruchsstimmung in diesem Kanton ist spürbar: Viele überlegen sich, was sie besser, anders machen könnten. Da werden von jungen IT-Cracks Apps für die kundenfreundliche Bestellung von PV-Panels entwickelt, da ist der Bauernverbandspräsident mit spannenden Energie- und Nahrungsmittelprojekten unterwegs, da erarbeitet der Zirkus Mugg ein zukunftsweisendes Energie- und Klimakonzept. Bei vielen ist spürbar, dass sie sich für eine hohe Lebensqualität engagieren und gleichzeitig dem Klima-und Umweltschutz zum Durchbruch verhelfen wollen. Und am 1. Juli 2020 startet das Klimabüro Glarus: ein Maturand wird auf Initiative der Klimajugend für ein halbes Jahr die pfiffigsten Projekte vorantreiben – bezahlt über private Beiträge und Sponsoren.