Was bleibt?

Letzte Woche war ich nach 9 Wochen Lockdown erstmals wieder unterwegs zu einer Sitzung nach Zürich – in einem beinahe völlig leeren SBB-Wagen. Es war ein komisches Gefühl: erstmals wieder im Businesslook, die Zugsbegleiterin trägt eine Maske, die meisten Reisenden keine – der neue Alltag rollt langsam an. Und natürlich frägt man sich, was denn bleiben wird von dieser Krise, von den neuen Verhaltensweisen, von den neuen Abläufen, die uns in den letzten Wochen zu Gewohnheit wurden. Einiges davon hat sich ja als durchaus praktisch und akzeptabel erwiesen und könnte unseren Alltag auch künftig prägen.

Homeoffice setzt sich durch

Zu Beginn der Krise war es vielen Leuten fürchterlich unwohl, nicht mehr tagtäglich zur Arbeit zu pendeln und so auch Distanz von zuhause zu gewinnen. Denn für viele ist der Arbeitsweg ja weit mehr als nur eine Pendlerstrecke, sondern ein Ritual: Zeitung lesen, Coffee-to-go holen, Small-Talks mit Kollegen. Inzwischen haben viele die schönen Seiten des Homeoffice entdeckt und es wird in Zukunft sicherlich an Bedeutung gewinnen. Denn einige Aufgaben können zuhause besser und konzentrierter als im Büro erledigt werden. Voraussetzung dafür ist eine gute ICT-Infrastruktur, die den Zugang zum Firmennetzwerk und die Kommunikation mittels Videokonferenzen erlaubt. Da gibt es noch einiges zu verbessern und auch arbeitsrechtlich neu zu regeln.

Werden Bürogebäude bald für das Wohnen genutzt?

Die Zunahme von Homeoffice wird die Nachfrage an Büroflächen weiter reduzieren und leerstehende Bürogebäude könnten schon bald für Wohnzwecke um genutzt werden. Schon heute gibt es in vielen Unternehmen keine eigenen, fixen Arbeitsplätze für die einzelnen Mitarbeitenden mehr, da viele sowieso nicht immer im Büro sind, sondern unterwegs oder im Homeoffice arbeiten. Dennoch wird es weiterhin Orte brauchen, an denen man sich beruflich begegnen, austauschen, Projekte vorantreiben, sich streiten und zu Kompromissen finden kann. Dazu braucht es neue Layouts und Ausstattungen mit Rückzugsmöglichkeiten, mit Ecken für Gruppenarbeiten, Begegnungszonen.

PV-Anlagen auf allen Neubauten obligatorisch erklären

Versorgungssicherheit hat sich als vorrangiges Thema etabliert, nicht nur bei Desinfektionsmitteln, Pharmatests und Medikamenten, sondern durchaus auch im Energiebereich. Einige möchten dazu am liebsten subito ein paar Gaskraftwerke bauen, während eine grosse Mehrheit auf die erneuerbaren Energien setzt. Der Zubau von PV-Anlagen geht rasch voran und auch die Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch nehmen stetig zu. Beschleunigen könnte man diesen Trend, indem die Nutzung der Dachflächen für Solaranlagen bei Neubauten obligatorisch wird. Die Kantone könnten dies in ihren Energiegesetzen so festlegen. Interessant ist übrigens, dass erste Kantone von der bisher hochgehaltenen Maxime abrücken, dass für den Gebäudebereich ausschliesslich die Kantone und ihre kantonalen Energiegesetze zuständig sind. So verzichtet der Kanton Solothurn nun auf ein neues Energiegesetz und will sich stattdessen an die Vorgaben des nationalen CO2-Gesetzes halten, das derzeit im Parlament diskutiert wird. Beginnen die Kantone auf ihre Kompetenzen im Gebäudebereich zu verzichten und akzeptieren vermehrt Bundeslösungen?  Vielleicht sollten die Energiedirektoren der Kantone im aktuellen politischen Umfeld weniger auf verfassungsmässige Rechte pochen sondern vermehrt überlegen, wie wir kluge Regulierungen mit massivem Effekt für unseren Erneuerbaren-Anteil möglichst schlank durchbringen: und dies dürfte mit der Änderung eines einzigen Artikels im Energiegesetz des Bundes sein als die Diskussion in 26 Kantonen mit je eigenen Gepflogenheiten!

Blockheizkraftwerke statt Beharren auf Wärmeversorgung über Gasleitungen

Aufgepoppt ist in den letzten Wochen auch die Diskussion, ob die Gasnetze bis 2050 noch betrieben werden sollen oder ob der Rückbau mit Blick auf Simonetta Sommarugas „Netto-Null“ Vision bereits jetzt geplant und bald schon umgesetzt werden soll. Da hört man doch mit einem gewissen Unverständnis, dass einzelne lokale Energieversorger für Neubauten noch immer Gasheizungen propagieren anstatt sich mit nachhaltigen Konzepten für Erneuerbare zu profilieren. Es wäre wünschenswert, dass die Gasversorger einen anderen Zugang zu diesen Themen erhalten und nicht mehr alles auf die Karte Gas für den Wärmebedarf setzen. Ihr Ziel sollte nicht mehr eine möglichst grosse Zahl von Gas-Wärmebezügern sein, sondern die Versorgung von ganzen Quartieren mit Strom und Wärme über klug dimensionierte Blockheizkraftwerke, die am Schluss die Wärme über Wärmepumpen in die Haushalte bringen. Derartige Konzepte werden mithelfen, mögliche Stromengpässe am Ende des Winters zu reduzieren. Sie bringen auch mehr Akzeptanz für einen noch längerfristigen Betrieb des bestehenden Gasleitungsnetzes, das sich künftig sehr wohl auch für eine Befüllung mit anderen (nichtfossilen) Energieträgern eignen könnte.

Neues entdecken statt jammern

Natürlich könnte ich, wie gerade beinahe die halbe schreibende Schweiz, in meinem monatlichen Blog den vom Bundesrat vorgelegten Ausstiegsplan aus dem Lockdown kritisieren. Ich hätte beispielsweise die Hemdenwasch- und Bügelservices als quasi „überlebenswichtige“ Dienstleistung für die männliche Hälfte der Bevölkerung spätestens am 27. April wieder geöffnet.

Natürlich könnte auch ich tiefgreifende Reformvorschläge für die Wirtschaftliche Landesversorgung machen, auf dass wir bei künftigen Pandemien keine Engpässe mehr bei den Masken, Desinfektionsmitteln und Klopapier befürchten müssen (ich war mal in einem Kanton für diesen noch immer stark von der Kriegswirtschaft geprägten Bereich zuständig und habe da meine Erfahrungen).

Natürlich lockt es mich auch zu einem bösen Kommentar, wenn ich in einer Pressemitteilung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds lese, dass die EVU mit der Coronakrise aktuell alle Hände voll zu tun hätten, mit der neuen Situation eines massiv geringeren Stromverbrauchs umgehen lernen müssten, und deshalb eine Strommarktöffnung völlig verfehlt wäre: „Der Bundesrat würde sich besser damit befassen, wie der Strombranche über diese Krise hinweggeholfen werden kann.» Muss wohl bald die Glückskette eine Sondersammlung für die bitterarme Energiebranche durchführen, falls der Bundesrat kein Sonderprogramm für die EVU auflegt?

Nein, ich will nicht in das allgemeine Jammern und Wehklagen einstimmen, sondern von einigen Startups und Initiativen berichten, die in den letzten Wochen engagiert an ihren Projekten gearbeitet haben und uns Wege in die Zukunft aufzeigen können.

Pflanzenkohle hilft Klimaeffekte reduzieren

Bei verschiedensten Produktionsprozessen für unsere Nahrungsmittel bleiben Pflanzenreste zurück, die genutzt werden können. Mit einer Pyrolyse werden daraus Wärme und Strom erzeugt und es bleibt Pflanzenkohle als Restprodukt. Gesamthaft ist dieses Verfahren klimapositiv, weil beim Pyrolyseprozess weniger CO2 entsteht als vorher von der Pflanze beim Wachstum aufgenommen wurde. Das Ökozentrum hat kleinere Pyrolyseanlagen in Peru und Vietnam erfolgreich installiert, in der Schweiz ist nun eine erste grossvolumige Anlage kurz vor der definitiven Inbetriebnahme.

Wasserstoff speichern: Korea investiert in Schweizer Startup

Das Spin-off GRZ der EPFL Sion will überschüssigen Strom als Wasserstoff dicht, sicher und kostengünstig speichern. Auf dem Campus der EPFL Sion findet sich eine Laboranlage, bei der die Besucher die Umwandlung von PV-Strom in Wasserstoff auf einem Rundgang durch die verschiedenen Stockwerke des Gebäudes miterleben können. Ein erste grössere Power-to-Gas-Anlage sollte in diesen Wochen in Sion in Betrieb genommen werden. Bei Lonza soll ein Grossversuch gefahren werden und weitere Anwendungen sind in verschiedenen Kantonen in Diskussion. Bereits hat sich die koreanische Hyundai-Gruppe finanziell bei GRZ engagiert, da sie sich von dieser Technologie auch für den Mobilitätsbereich einiges erhofft.

Qualifizierte Mitsprache der Betroffenen bei der Linienführung neuer Leitungen

Leidvolle Erfahrungen habe ich als BFE-Direktor beim Neubau von elektrischen Leitungen gemacht: Einsprachen und langwierige Entscheidungs- sowie Gerichtsverfahren verzögerten den Ausbau des für die Versorgungssicherheit wichtigen Netzes. Inzwischen sind dank der Strategie Stromnetze die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas verbessert worden, doch die Umsetzung muss nun neu definiert und erprobt werden. Das ETHZ-Spin-off Gilytics nutzt gezielt Geodaten, um verschiedene Varianten der Leitungsführung in einem Gebiet grafisch darzustellen. So können die Stakeholder durch die Bewertung verschiedener Kriterien (Distanz zu bebauten Raum, zum Naturschutzgebiet oder zum Wald etc.) die optimale oder zumindest die breitest akzeptierte Variante finden. Erste Pilotversuche laufen bei Swissgrid, Axpo und TenneT, weitere – etwa bei den SBB – werden in den nächsten Monaten starten. Gekoppelt werden sollen diese digitalen Prozesse später mit Versuchen regionaler Partizipation, die einen qualifizierten Einbezug der Bevölkerung, Entscheidungsträger sowie Interessengruppen erlauben.

Second-Life für Batterien

Elektromobilität boomt und damit kommen mehr und mehr Batterien als Speicher zum Einsatz. Im Mobilitätsbereich werden Batterien nur benutzt, solange sie mehr als 80% der ursprünglichen Leistung erreichen. Doch nachher ist eine Zweitnutzung im stationären Bereich denkbar, muss aber noch breiter ausgetestet und auf die Vorteile gegenüber einem normalen Recycling geprüft werden. Verschiedenste Forschungsgruppen entwickeln dafür Lösungen. Das Ökozentrum hat eine Pilotanlage für die Post realisiert, bei der die in den Postdreirad-Fahrzeugen genutzten Batterien ein zweites Leben erhalten. Sie speichern den auf den Postgebäuden produzierten Solarstrom, erhöhen so den Eigenversorgungsgrad dieser Bauten und entlasten so die Stromnetze.

Dies sind nur vier aus einer grossen Zahl spannender Projekte, die jetzt vorangetrieben und zu einem eigentlichen Innovationsschub im Energiebereich führen können. Vieles tut sich bei der Digitalisierung, einiges hilft mit, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, nicht wenige versuchen, Energie als Gesamtsystem zu optimieren und die Schranken zwischen den einzelnen Märkten sowie Technologien zu überwinden. Es ist zu hoffen, dass diese Ansätze durch Corona nicht gebremst werden, sondern eher zusätzlich Schub erhalten, weil sie uns in eine nachhaltigere Zukunft führen können.

Natürlich kommt man mit dem Begleiten und Unterstützen derartiger Projekte derzeit nicht auf der grossen Bühne der auf Corona-Fragen eingeschnappten Medien, aber das ist mir auch ziemlich wurscht: ich habe auch nicht den Anspruch wie einige selbstverliebte Leadsänger der Oekonomenzunft (Eichenberger und seine Freiburger Schule) täglich dem Bundesrat die Leviten lesen und den Epidemologen beweisen zu müssen, dass sie besser die Krone der wissenschaftlichen Schöpfung, nämlich Ökonomie, studiert hätten.

Im Krisenmodus

Langsam gewöhnen wir uns an das neue Regime unter Corona. Langsam wird die digitale Kommunikation zur Selbstverständlichkeit. Ich stelle sogar fest, dass diverse Gruppen mit vielen ü65-Jährigen überlegen, sich vermehrt statt nur in Telefonkonferenzen auch über Videocalls mit Zoom, Webex Meet oder Microsoft Teams auszutauschen. In Sachen Digitalisierung machen wir nun in der Schule, in der Wirtschaft aber auch in der Gesellschaft innert weniger Wochen rasante Fortschritte. Auch weil die kritischen Energie-Infrastrukturen derzeit problemlos funktionieren.

Die Pandemie Business Continuity Pläne der Strom- und Gasfirmen haben sich als robust und tauglich erwiesen. Der Umstieg in den Krisenmodus hat bei praktisch allen Unternehmen bestens geklappt: Früh wurde definiert, wer speziell gefährdet oder unbedingt einsatzfähig sein sollte, es wurden Gruppen gebildet, die sich periodisch ablösen und die Betriebsbereitschaft hochhalten. Früh wurden auch jene Leute, deren Präsenz im Büro nicht unbedingt nötig ist, ins Homeoffice verabschiedet.

Auch auf Bundesebene läuft das Krisenmanagement derzeit sehr gut. Eine gute Gelegenheit, darauf zurückzublicken, wie dieses Krisenmanagement entstanden ist und sich bis heute entwickelt hat.

Am Anfang war der LAR

In den Nuller-Jahren hatte der Bund eine einzige Krisenmanagement-Organisation, den LAR (Leitungsausschuss Radioaktivität). In ihm vertreten waren verschiedene Departemente und Bundesämter, und er war ausschliesslich für Nuklearereignisse zuständig. Im LAR trafen sich die Kaderleute der einzelnen Verwaltungseinheiten vier- bis sechsmal jährlich zu einer Sitzung. Sie berichteten über die getroffenen Vorkehrungen wie die Jodtablettenverteilung oder die Absprachen mit einzelnen kantonalen Polizeicorps. Im Ernstfall hätte der LAR innert weniger Stunden eine Ämterkonsultation zu den vom Bundesrat zu fällenden Entscheiden durchgezogen, ein Prozess, für den im Normalfall drei Wochen zur Verfügung stehen. Zudem fand alle zwei Jahre zusammen mit den kantonalen sowie kommunalen Führungsstäben eine grosse Übung statt: Mal nahm man dabei an, dass in Beznau eine radioaktive Wolke auszutreten droht, mal wurde Mühleberg mit einer riesigen Überschwemmung des Wohlensees beübt, mal wurde an einem Bahnhof eine Dirty bomb supponiert gezündet. Bezahlt wurden alle Aufwendungen dieser Stäbe und Verwaltungseinheiten von den Kernkraftbetreibern.

….daraus entwickelte sich der Bundesstab ABCN

Nach den vom Generalsekretär VBS geleiteten LAR-Sitzungen fand üblicherweise ein Apéro statt, an denen wir öfters diskutierten, dass eigentlich neben Atomkatastrophen auch andere Grossereignisse periodisch geübt werden sollten, um für den Ereignisfall gewappnet zu sein. Nach etlichen Runden – auch mit Generalsekretären und Bundesräten – waren wir uns einig, dass von diesem Krisenstab die Bewältigung von sowohl A = Atomkatastrophen, als auch B = Biologie (Pandemie), C = Chemie und N = Naturgefahren (Erdbeben, Überschwemmungen) koordiniert werden sollten. Das wurde dann in eine Rechtsform gegossen und auf den 1. Januar 2011 als ABCN-Einsatzverordnung in Kraft gesetzt. Anfang 2018 wurde diese dann durch die Verordnung über den Bevölkerungsschutz abgelöst.

Feuerprobe Fukushima

Es gab keinen sanften Start für dieses neue Gremium, denn nur etwas mehr als zwei Monate später explodierten in Fukushima vier Kernkraftwerke. So wurde eilig für den 15. März 2011 zur ersten Sitzung des Stabs eingeladen. Gemäss Verordnung sollte der Direktor des hauptbetroffenen Amtes in der jeweiligen Krise den Bundesstab führen, aber – oh Schreck – nun hatten die Direktoren des Bundesamts für Bevölkerungsschutzes, des Bundesamts für Gesundheit sowie des Bundesamts für Energie je von ihren BundesrätInnen die Order erhalten, die Führung zu übernehmen. Nach einer längeren Diskussion einigten wir uns auf die Formel, dass der Tag ja 24 Stunden hat und jeder der drei Direktoren für 8 Stunden die Federführung innehaben darf. Wir kamen beinahe täglich zusammen, tauschten uns zu Lage, Entwicklung sowie nötigen Massnahmen aus, machten gemeinsam Vorschläge für Bundesratsentscheide im Sinne einer Ämterkonsultation. Und es wurden beispielsweise auch Empfehlungen für den Schweizer Botschafter in Tokyo formuliert. Zudem stellte der ebenfalls Einsitz nehmende Sprecher des Bundesrates täglich einige spannende Themen für einen Point de presse zusammen, bei dem die anwesenden Amtsvertreter einzelne Aspekte der Krise aus ihrer Perspektive darstellen konnten.

Einbezug von KdK und EnDK als Gemeinschaftsinstitutionen der Kantone

Nach wenigen Tagen wurde auch Vertreter der Konferenz der Kantonsregierungen sowie der zuständigen kantonalen Direktorenkonferenzen in den Bundesstab geholt. Zudem wurde allen bewusst, wie wichtig das Know-how und die internationale Vernetzung von Fachstellen wie MeteoSchweiz für die Arbeit des Gremiums sein kann. Nur mit ihrer Unterstützung war es beispielsweise möglich, der Botschaft in Tokyo einen qualifizierten Rat zu geben, ob sie mitsamt ihrem Personal vorübergehend nach Osaka umziehen sollte.

.. aber trotzdem Sololäufe einzelner Kantone

Nach dem Ereignis Fukushima wurden die Lessons learnt gezogen und die Aufgaben einzelner Elemente wie der Nationalen Alarmzentrale präziser definiert. Parallel sollte die Zusammenarbeit mit den Kantonen über ein neues Gremium, den Sicherheitsverbund Schweiz, gestärkt werden. Dass in einem föderalistischen Staat trotzdem immer wieder kantonale Alleingänge vorkommen, erleben wir gerade in diesen Wochen wieder. Zwar darf der Bund gerne die Basler Fasnacht verbieten, weil die Kantonsregierung in einem Wahljahr dazu kaum den Mut gehabt hätte, aber die Schliessung der Baustellen in einzelnen Kantonen wird noch so gerne für einen Sonderzug genutzt.

In Krisen Köpfe kennen

„Üben – verbessern – üben – optimieren – üben“ war in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen supponierten Ereignisfällen angesagt: 2014 war ein Ereignismix mit einer Pandemie sowie einer Strommangellage Basis für die Sicherheitsverbundsübung SVU 2014. Immer ging es dabei darum, sich mit den Ereignissen vertraut zu machen, aber auch um den Willen zur Zusammenarbeit sowie das Vertrauen in die Partner: «In Krisen Köpfe kennen» war das Motto dieser Anstrengungen. Und wenn jetzt an den Medienkonferenzen mit den Fachleuten, die zwischen den Bundesratssitzungen stattfinden, jeweils die Vertreter der einzelnen Bundesämter gemeinsam auftreten, sich gegenseitig ergänzen und neue Aspekte einbringen, dann wird das Resultat dieser Übungen sichtbar.

M. M., ein durchaus kritischer Bloger aus der Region Basel mit langer journalistischer Vergangenheit, hat diese Woche seine Eindrücke nach einem dieser point de presse wie folgt zusammengefasst: «Berner Spitzenpersonal, civil servants at its best. Sie sind nicht der Politik, den Parteien verpflichtet, sondern der Regierung. Sie bereiten vor und setzen um, was ihnen der Bundesrat vorgibt. Man mag ihre Neutralität in Normalzeiten hie und da anzweifeln. Doch jetzt haben wir keine normalen Zeiten. Deshalb können wir uns glücklich schätzen, dass wir jetzt Leute von solcher Qualität an verantwortlichen Stellen sitzen haben, die unaufgeregt, einfach ihren Job machen. Rumnörgeln können wir später wieder.» https://arlesheimreloaded.ch/rumnoergeln-koennen-wir-spaeter-wieder/

Vom Nörgeln über eine Task-Force zum Köpfe rollen

Dieses Meckern und Rumnörgeln hat aber bereits begonnen. Auch bei den Immunologen – wie 2011 bei den Atomwissenschaftern – gibt es ja nicht wenige (ob emeritiert oder noch im aktiven Berufsleben), welche sich gerne öffentlichkeitswirksam in Szene setzen und den Bundesrat beraten möchten. Sie fordern eine Task-Force, in der sich die Fachwelt mit allen klugen Köpfen aus Epidemiologen, Virologen, Medizinern, Ökonomen, IT-Leuten und weiteren Expertinnen austauschen und Empfehlungen abgeben soll. Ich bin überzeugt, man wird ein derartiges Gremium in Bälde zusammenstellen, damit man auch diese Kritiker eingebunden hat – aber ob das Nutzen stiften wird, darf bezweifelt werden.

Und bald schon wird die nächste Phase folgen, die ich aus der Post-Fukushima-Geschichte bestens kenne: Nach etwa drei Wochen kam meine Kommunikationschefin zu mir und meinte, die Medien suchten nun einen Sündenbock, das gehöre nach Krisen immer dazu, es werde sicher die Forderung kommen, dass ein Kopf rollen muss. Eigentlich gäbe es zwei Kandidaten, der andere sei der Präsident des Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI. Und tatsächlich, nach drei Wochenenden mit dreisten Filz- und Korruptionsbehauptungen der Sonntagszeitung, musste der Präsident des ENSI, ein mutiger, kompetenter und unbestechlicher Ingenieur mit Berner Schädel, als Chef dieser Behörde abtreten. Ich bin gespannt, wem es diesmal den Kopf kosten wird – ich habe da so meine Vermutungen….

Erscheint am 26. März im Energate Messenger Schweiz

Energieinnovationen en route: Es tut sich was

Der Aufbruch in der Energiepolitik nach Fukushima brachte Zusatzmittel für Forschung und Entwicklung. Damit konnten die Swiss Competence Centers for Energy Research SCCER aufgebaut werden, zudem wurden die energieorientierten Nationalen Forschungsprogramme NFP 70 und 71 lanciert.

Forschung von Hochschulen, Fachhochschulen und Wirtschaft zusammenbringen

Beide Gefässe hatten das erklärte Ziel, die Forschenden nicht länger nur in ihren stillen Kämmerlein an den einzelnen Hochschulen forschen und agieren zu lassen. Vielmehr sollten gemischte Gruppen aus den eher theorienahen Hochschulen (ETH-Bereich, Universitäten) und aus den praxisorientierteren Fachhochschulen gemeinsam Fragestellungen angehen und Lösungen erarbeiten. Innert kurzer Zeit bildeten sich so Communities, die innovativ und enge Fachgrenzen überwindend loslegten und sich auch enger mit der Wirtschaft vernetzten.

Das Ende des ersten Kapitels – Die Geschichte geht weiter

Nun gehen diese Aufbaufinanzierungen dem Ende entgegen. Die NFP haben ihre Resultate der Öffentlichkeit bereits präsentiert und einen breiten Strauss von Überlegungen und Vorschlägen vorgelegt. Auch aus den SCCER werden spannende Papers und interessante Ansätze bekannt. Da wurde viel Kompetenz aufgebaut und sind neue Lösungsansätze entwickelt worden. In den kommenden Monaten werden diesen an diversen Schlussveranstaltungen und in -berichten vorgestellt. Deutlich wird, dass die Wissenschaftler nicht mehr nur ihre eigene Fach-Community erreichen wollen: Sie versuchen allgemeinverständlich und praxisnah zu berichten, viele professionell gecoacht von Kommunikationsfachleuten.

Erfreulich ist, dass die aufgebauten Kompetenzen für die weitere Umsetzung der Energie- und Klimastrategie der Schweiz weiter genutzt werden sollen. Möglich macht das der Bundesrat, der gestern dem Parlament eine entsprechende Botschaft für das neue, zwölf Jahre dauernde Forschungsprogramm SWEET (Swiss Energy Research for the Energy Transition) überweisen hat. Dabei geht es nicht einfach um die Aufrechterhaltung der bisherigen Strukturen. Vielmehr werden Ausschreibungen zu Themenkomplexen durchgeführt, für die sich Konsortien aus verschiedenen Hochschulen, aber auch aus der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand bewerben können.

Bessere Startup-Förderung, aber noch Lücken bei der Finanzierung

Viele Forschungsresultate werden von kleinen Teams als Startups in die Praxis umgesetzt. In der Schweiz hat in den letzten Jahren die Jungunternehmerförderung deutlich zugelegt: Innosuisse begleitet die Startups massgeschneidert und kompetent, der Technologiefonds leistet bei der Markteinführung gezielt Bürgschaften, die beim Bundesamt für Energie angesiedelte Förderung von Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekten erlaubt, erste Prototypen, Anlagen und Versuchsreihen mitzufinanzieren. Noch sind aber Aufbau- und Wachstumsfinanzierungen für viele Startups ein Problem, weil sich die dafür vorgesehenen privaten Initiativen noch nicht breit entfalten konnten. Vielleicht braucht es auch in diesem Bereich eine subsidiäre staatliche Hilfestellung.

Zwei hilfreiche Plattformen

Wer sich eingehender über die pfiffigen Startup-Szene im Energie- und Cleantechbereich informieren will, kann heute zwei wichtigen Plattformen nutzen: Cleantech Alps (https://www.cleantech-Alps.com/en//start-ups/) den Innovation-Monitor der ZHAW ( https://www.innovation-monitor.ch/). Da gibt es attraktive Möglichkeiten für Kontakte und Vernetzung, daraus können zukunftsweisende Kooperationen entstehen.

Powertage werden auch Startup-Tage: xplor

Startups brauchen vermehrte Aufmerksamkeit in der Branche und vom Markt. Es ist deshalb erfreulich, dass ihnen die Messe Powertage vom 16. – 18. Juni 2020 mit der xplor bereits zum zweiten Mal eine Plattform bietet. Noch bis Ende Februar können sich Startups für die xplor bewerben. Eine Jury wird neun Gewinner bestimmen, die kostenlos eine Standfläche erhalten und auch Präsentationen an der Messe machen können. Der zehnte Gewinner wird durch ein Publikums-Voting im Vorfeld der Messe über Internet ausgewählt. Ab dem 9. März läuft dieses Public voting! Ich bin gespannt auf die innovativen Startups, die sich im Wettbewerb durchsetzen und sich dann an den diesjährigen Powertagen präsentieren können.

 

Erscheint am 27. Februar bei Energate Messenger sowie bei Oekozentrum  

e-world 2020: wir werden smart und warten auf den nächsten Hype

Eben komme ich zurück von der e-world in Essen, welche dieses Jahr ihr 20-Jahr-Jubiläum feiert. Ursprünglich war sie als Veranstaltung für die europäischen Händler von Strom und Gas konzipiert, die sich dort einmal im Jahr Face to Face treffen statt immer nur per Telefon und Fax miteinander kommunizieren sollten. Es waren feuchtfröhliche Begegnungen, die Zutrittskarten zu den bis in die Morgenstunden dauernden Partys waren mindestens so begehrt wie die Eintrittstickets zur Messe.

Heute: Eine breit aufgestellte Energiemesse

Inzwischen hat sich die e-world zusammen mit der Energiewirtschaft grundlegend verändert. Die Informatikbranche hat breit Einzug gehalten und immer mehr findet man auch Anbieter von Hardware in die Hallen: So präsentieren sich neben grossen und kleinen IT-Buden von SAP bis Adesso auch Siemens, ABB und all die andern. In den letzten Jahren kamen vorerst die Anbieter von Windparks und die Infrastrukturunternehmen aus dem Gassektor dazu, dann tauchten die grossen Unternehmensberater, die Anwaltskanzleien und die mitfinanzierenden Banken auf und nun mischen sich immer mehr Startups darunter.

Start-ups willkommen

In beinahe einer ganzen Halle präsentieren Jungunternehmen unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ihre Produkte und Dienstleistungen. Zudem finden beispielsweise auf dem Stand von e.on und Innogy Referate von Startups statt, mit denen die ganz Grossen der Branche zusammenzuarbeiten beginnen. Wer hätte sich vor wenigen Jahren vorstellen können, dass die selbstbewusste ingenieurgetriebene e.on/Ruhrgas je mit pfiffigen Schweizer Startups wie Enersis oder Adaptricity kooperieren würde.

Wir sind alle smart

Kaum ein Stand, kaum ein Referat ohne den Begriff der «smart city». Jeder und jede versteht zwar etwas anderes unter diesem Modewort, doch allen gemeinsam ist, dass die Digitalisierung vorangetrieben und in einem – wohl mit 5G ausgerüsteten – urbanen Umfeld breit eingesetzt werden soll. Eine spannende Anwendung der dadurch möglichen Vernetzung war auf dem BKW-Stand zu sehen: alle Cimbali-Kaffeemaschinen in der Schweiz werden gemeinsam digital gesteuert und der dafür genutzte Strom intelligent gebündelt und Peaks sollen möglichst vermieden werden.

Smarte City mit Bürgern planen

Spannend waren auch diverse Konzepte für nachhaltige Energielösungen ganzer Quartiere und Städte, welche auf diesem Level dank Intelligenz, Netzen und Speicherung teils zu beinahe autarken Einheiten sich entwickeln sollen. Bemerkenswert auch die Bereitschaft, sich vermehrt mit der Akzeptanz von derartigen Ansätzen auseinanderzusetzen. Gemäss Professor Lietzmann von der Bergischen Universität muss die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger immer mehr zur Pflicht werden. In viertägigen Seminarien tauschen sich Experten und Bewohner aus und entwickeln gemeinsam Vorstellungen, welche Elemente für ein lebenswertes und nachhaltiges Quartier oder eine smarte city zentral sind. Volksabstimmungen dazu werden demgegenüber abgelehnt: das sei nach Professor Lietzmann oft zu emotional und der Otto Normalverbraucher als Stimmbürger zu wenig informiert (was wir in der Schweiz schon etwas anders sehen).

E-mobilität beginnt zu boomen

Angekommen ist nun auch in Deutschland die Elektromobilität, welche mit einer Vielzahl von Konzepten ausgerollt werden soll: Alpiq, e.on, innogy und all die andern versuchen sich mit eigenen Charging-Angeboten zu positionieren, sie kooperieren teils exklusiv mit einzelnen Autoherstellern wie VW oder Mercedes-Benz. Glücklich dürften also vorläufig Nutzer sein, wenn sie durch halb Europa fahren können, ohne eine Vielzahl von Cards besitzen und unterschiedlichste Ladesystemen verstehen zu müssen – da wird wohl noch eine Klärung sowie Bereinigung stattfinden müssen. Aber noch misstraut der deutsche Konsument den reinen E-mobilen. Vorläufig boomen vor allen die Hybridfahrzeuge, welche in der Innenstadt Strom verwenden, auf der Landstrasse aber als tonnenschwerer SUV auf die traditionellen fossilen Treibstoffe setzen.

Wasserstoff – der nächste Hype?

In Referaten von Wissenschaftern, von Firmen wie auch von Kommunen wurden verschiedenste Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff diskutiert. Denn überschüssiger Strom lässt sich dezentral wohl am ehesten in dieser Form speichern, aber neben grünem Wasserstoff (aus Erneuerbaren Energien) wird wohl auch blauer (aus Erdgas aber mit CO2-Abtrennung), türkiser (aus Pyrolyse) und grauer (nicht CO2-neutral hergestellt) vermehrt zum Einsatz kommen. Da wurden erste als Reallabor bezeichnete Wasserstoffquartiere in Esslingen und Kaisersesch vorgestellt, da wurden die Anwendungen in der Mobilität für LKW und PW präsentiert. Wasserstoff hat in Deutschland bereits auch im politischen Raum eine hohe Aufmerksamkeit: der Bund wie auch das Land Nordrhein-Westfalen haben je eine eigene Wasserstoffstrategie formuliert – nun müssen den Worten Taten folgen….

Swissbau – Künftig mit mehr Ausstellern aus der Energiebranche?

Das beste Summary zur diesjährigen Swissbau hörte ich in Halle 1 auf der Rolltreppe von zwei jungen Besuchern: „Du, ich glaube, jetzt geht die Post ab. Wer nun nicht Gas gibt, ist in fünf Jahren nicht mehr auf dem Markt, da werden einige aufgeben müssen.“

Swissbau goes digital
Der Bausektor verändert sich und mit ihm die Swissbau. Klug hat die Swissbau an der Sonderausstellung im Innovation Lab das Thema Digitalisierung mit vielen kleinen Firmen-Ständen, Foren und Diskussionsplätzen aufgenommen. Hier wurde die Vielfalt der aktuellen Entwicklungen sichtbar, hier wurde auch klar, dass da noch viel zusammenkommen und gebündelt werden muss, was heute in einzelnen Teilen angedacht und realisiert wird. Instruktiv und höchst erhellend die konkrete virtuelle Schau im i-Room zur BIM-Anwendung an einem konkreten Wirtschaftsförderungsbeispiel im Kanton Basel-Landschaft: Da wurden die Vorteile dieser neuen Technologien fassbar. Allerdings darf man sich fragen, warum nun verschiedenste Nerds in den einzelnen Bau-, Planungs- und Ausrüsterfirmen je eigene Tools entwickeln wollen.

Ein Spaziergang zu den spannendsten digitalen Firmenprojekten
Spannend auch die angebotenen „Guided Tours Digitale Innovation“ quer durch die Hallen und bei verschiedensten Firmen, wobei als Führer mit Beat Andrist, ex GL-Mitglied von EBL, ein ausgewiesener Kenner der Energie-Szene und der Bauwirtschaft zur Verfügung stand. Packend die Präsentation von Gesacon, wo vorerst ein Dachkännel am CAD-Arbeitsplatz gezeichnet wurde und nach fünf Minuten gebogen sowie beschriftet aus der Maschine auf dem Stand purzelte. Für uns als Endkonsumenten vielversprechend das GIS-basierte Tool von VELUX, welches den Sonnenstand und damit die Helligkeit in einem abgeschrägten Raum nach Einbau eines Dachfensters für jeden Tag und jede Stunde des Jahres an jedem Standort aufzeigen kann. Interessant auch die ersten Versuche von HG Commerciale, welche nun die Submissionsunterlagen digitalisieren und damit den arbeitsintensiven Faxverkehr vor der Offerteingabe überflüssig machen wollen. Aber: da bleibt noch viel zu tun. Faszinierend die neue Dampfabzughaube von Miele in Form einer an vier Drähten aufgehängten und ansprechend designten Lampe. Sie liefert nicht nur Licht in verschiedenen Farben, sondern verfügt auch über einen kleinen Speicher für den zu Wasser kondensierten Dampf, der je nach Feuchtigkeit später wieder dosiert an den Raum abgegeben wird. Zusätzlich integriert ist eine Beduftungsfunktion, auf dass nicht der stechende Geruch eines leicht verkohlten Fleischstücks sondern eine liebliche südfranzösische Gewürzmischung oder der Duft einer Süsswaren-Bäckerei den Raum erfüllt.

Erneuerbar heizen – auch eine Kommunikationsaufgabe
Auf grosses Interesse stiess auch die von EnergieSchweiz lancierte Kampagne „Erneuerbar heizen“. Da haben sich nun die wesentlichen Akteure vereint, um gemeinsam beim Heizungsersatz die Erneuerbaren zu pushen. Es gibt Impulsberatungen und die Gebäudetechniker werden in Pflicht genommen. Spannend die von Suissetec-Chef Christoph Schär präsentierte Studie, welche mit einer auf Anreizen basierten Strategie für die nächsten Jahre grösstmögliche Reduktionen verspricht. Zur Hebung der letzten Potentiale wären dann wohl doch noch hoheitliche Ge- und Verbote nötig. Es ist zu hoffen, dass die neu eingesetzten Impuls-Berater nicht nur den Greta-Effekt thematisieren, sondern vermehrt in der Sprache der Einfamilienhausbesitzer über mögliche finanzielle Beiträge aus dem Gebäudeprogramm sowie Steuerreduktionen informieren. Viele überzeugt man halt immer noch am einfachsten mit „Franken und Rappen“.

Über Fehler sprechen lernen
Eine „Fuck-up-Night“ war als neues Gefäss angekündigt. Da sollten gemachte Fehler und daraus gezogene Lehren reflektiert werden. Stararchitekt Heinrich Degelo legte dar, dass ein von ihm geplantes bedrucktes Sonnensegel wegen einer gerne mit „Durchlaucht“ angesprochenen Person der Uni Freiburg während Jahren nicht wie geplant realisiert werden konnte. Hätte er sich in der Planungsphase vehementer eingebracht, hätte er anschliessend nicht Jahre für die Korrektur und das richtige Setzen dieses attraktiven Segels gebraucht. Einen interessanten Case präsentierte auch der Entwicklungschef von Belimo, der ein geniales neues Tool nicht zur Massenproduktion bringen konnte, weil die Kunden darauf nicht vorbereitet waren. Erst jetzt würden einzelne Elemente dieser grundlegenden Innovation Schritt für Schritt vom Markt angenommen und die Entwickler können sich immer wieder über ihre beinahe geniale Weitsicht freuen. Eine dritte Präsentation kam von einer Start-up-Unternehmerin, welche mit ihrer IT-Entwicklung dem Denken und den Welten der Stadtplaner Jahre voraus war und deshalb Konkurs anmelden musste. Fazit des Abends: Man sollte nicht nur die Erfolge feiern, sondern auch die Misserfolge würdig begehen, weil man aus Fehler oft mehr lernen kann und diese Ideen nicht selten wenige Jahre später zu einer grossen Erfolgsgeschichte werden. Fuck-up-Nights sind derzeit global ziemlich angesagt – vielleicht könnten derartige Formate auch in der Energiewirtschaft oder bei staatlichen Verwaltungen zu Einsichten und Erfolgen führen.

Wenn Gebäude und Energie immer vernetzter geplant werden müssen
Noch sind erst wenige Energie-Firmen wie der VSG, IWB oder Energie360 als Aussteller an der Swissbau präsent. Wenn nun aber Gebäude und die Energiewelt immer mehr zusammenkommen sowie eine Sektorkopplung angedacht ist, dann wird die alle zwei Jahre stattfindende Swissbau auch für die Schweizer Energiewirtschaft immer wichtiger. Bereits haben erste Vertreter der Branche signalisiert, dass sie sich eine Messebeteiligung überlegen. Denn: Hier geht die Post ab.

War’s ein gutes Jahr?

Die letzten Tage des Monats Dezember laden auch in der Energiepolitik zu Rück- und Ausblicken: Was waren die diesjährigen Erfolge? Was hat sich nicht wie gewünscht entwickelt? Wohin geht die Reise im Jahre 2020?

Vom Scherbenhaufen zum politisch ausbalancierten Konzept

Ende 2018 standen wir in der schweizerischen Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen. Der Nationalrat hatte mit einer unheiligen Allianz von SP und SVP die vorgeschlagene CO2-Gesetzesrevision abgelehnt. Nun war der Ständerat gefordert, eigene konstruktive Ideen zu entwickeln, um dem Projekt wieder Leben einzuhauchen. Zu Hilfe kam dabei nicht nur die von Greta angestossene Sensibilisierung der Fridays-For-Future-Bewegung, sondern auch der Turn-Around der FDP, welche sich mit einer Mitgliederbefragung das Mandat geben liess, künftig einen progressiveren marktwirtschaftlichen Kurs in Umwelt- und Energiefragen zu fahren. Und so konnten die beiden Ständeherren Ruedi Noser (ZH) und Damian Müller (LU) eine grössere Zahl neuer Elemente in die Vorlage einfliessen lassen, welche nun nicht nur eine Flugticketabgabe sondern auch einen recht umfassend einzusetzenden Fördertopf beinhaltet. Die Energiekommission des Nationalrates hat mit der Behandlung des ständerätlichen Vorschlages begonnen. Geändert wird wohl nur noch wenig. Trotz erstarkter grüner-grünliberaler Sicht will man das Fuder nicht überladen, um es in einer allfälligen Referendumsabstimmung durchzubringen.

Eine Premiere: Das erste Kernkraftwerk vom Netz

Das zweite grosse Ereignis war die Abschaltung von Mühleberg am 20. Dezember. Der Anlass gab allen Seiten Gelegenheit, nochmals ihre Botschaft zur Energiezukunft zu platzieren. Da sang alt Nationalrat Bigler das hohe Lied von der Notwendigkeit neuer Kernkraftwerke, obwohl ihm Eric Nussbaumer vorrechnen konnte, dass diese viel zu spät – nämlich irgendwann um 2050 – ans Netz gehen könnten. Da profilierte sich Regula Rytz als grosse Befürworterin erneuerbarer Energien, ohne gleichzeitig ihrer Klientel zu sagen, dass der Zubau in der Schweiz durch eine Vielzahl von „not in my backyard“- Beschwerden gefährdet ist und hier ein Umdenken nötig ist.

GuD oder WKK?

Elegant demgegenüber Suzanne Thoma, die aufzeigen konnte, dass die BKW mit ihren Sparten Power Grid, Energy, Building Solutions, Engineering und Infra Services gut und breit aufgestellt ist, um die Energie-Transition erfolgreich zu meistern. Alt-Meister Carlo Schmid hat sich in seinem letzten Interview als Präsident der ElCom zum Thema Versorgungslücke nicht mehr technologieneutral geäussert, sondern der Option Gaskraftwerke Priorität eingeräumt. Wenn es nicht um Stimmungsmache, sondern um einen zukunftsorientierten Strom-Mix geht, ist eigentlich allen klar, dass unsere Versorgungssicherheit mit mehr Energieeffizienz, einem massiven Ausbau der Erneuerbaren, einem intelligenten Netzausbau, einer deutlichen Vergrösserung der Speicherkapazitäten und einem ausgewogenen Stromabkommen garantiert werden muss. Erst dann machen einige wenige – vorläufig fossile – Reservekapazitäten mit Blick auf die winterlichen Saisonspitzen Sinn. Ob Kombigaskraftwerke (GuD) oder Wärmekraftkoppelungsanlagen (WKK) geeigneter sind, ist offen. Die Städte als Besitzer der Gaswerke hätten jedenfalls eine grosse Chance, sich mit WKK auch langfristig einen wichtigen Kanal im Strom- und Wärmesektor zu sichern.

Madame Heimlifeiss und die neue Lehmschicht

Am 5. Dezember erschien in der Handelszeitung mit dem Titel «Madame Heimlifeiss» ein Porträt der neuen UVEK-Chefin Simonetta Sommaruga, in welchem ihr attestiert wurde, dass sie relativ viel bewegen kann, indem sie anstelle von Diskussionen in der Öffentlichkeit gezielte Hinterzimmergespräche mit den wesentlichen Playern führe. Gleichzeitig wurde im Artikel aber auch moniert, dass zwischen einem kleinen, parteipolitisch stark fokussierten Stab im Generalsekretariat und den einzelnen Fachämtern eine „Art Lehmschicht“ eingezogen worden sei: Politik sei Aufgabe des Stabs, erst bei der technischen Umsetzung dürfen dann die Fachämter mitwirken. In den vergangenen Jahrzehnten hatten immer wieder einzelne Departementsvorstehende zu Beginn ihrer UVEK/EVED-Zeit ein derartiges Rollenverständnis gepflegt. Die Erfolgreicheren verstanden es jedoch, rasch eine beidseits durchlässige Membran (statt einer Lehmschicht) zu installieren. So konnten sie die Fachkompetenz und langjährige Erfahrung der Ämter gezielt nutzen und auf diese Weise dem Bundesrat und dem Parlament klug austarierte, sachlich stimmige Vorlagen zu unterbreiten.

Für die Branche war‘s ein gutes Jahr

Wirtschaftlich dürfte 2019 für die meisten Energieversorger ein durchaus erfolgreiches Jahr gewesen sein. Im Strom- wie im Gasmarkt brachte die fehlende (vollständige) Marktöffnung noch immer schöne Margen bei den gefangenen Kunden. Bei den Produzenten sorgten die gegenüber den Vorjahren erhöhten Preise an den Strombörsen für Entspannung. Zudem wirkte sich die allgemeine Börsenhausse auch für die Besitzer der Kernkraftwerke positiv aus, weil deren angelegte Gelder für Rückstellungen sowie Einlagen in Stilllegungs- und Entsorgungsfonds höhere Werte repräsentieren. Einziger Wermutstropfen war die Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung, die den Betreiberfirmen höhere Beiträge abverlangt.

Personell ein überdurchschnittliches Wechseljahr

2019 ist es an der Spitze wichtiger Stromunternehmen zu Veränderungen gekommen: Die Axpo hat nun einen CEO, der wieder Visionen umsetzen darf, bei Alpiq wird der neue Chef die im Aktionärsbindungsvertrag formulierte Strategie vorantreiben und bei Repower kann sich ein neuer CEO zusammen mit dem Verwaltungsrat an einer neuen Strategie versuchen. Bei den Behörden tritt Carlo Schmid, der 1980 als Ständerat erstmals Berner Luft geschnuppert hatte, nach beinahe 40 Jahren von seinem letzten Amt in Bundesbern, dem ElCom-Präsidium, zurück. Er hat diese Behörde samt Sekretariat stark geprägt, er hat die wesentlichen Entscheide konsequent bis zum Bundesgericht durchgezogen und er hat mit seinem Politikbild auch das Zusammenspiel Schweiz – Europa im Stromsektor nicht unwesentlich beeinflusst. Ebenfalls tritt Anne Eckhardt zurück, die acht Jahre als ENSI-Präsidentin wirkte. Man darf gespannt sein, wie sich die Nachfolger der beiden positionieren werden. Mit Blick auf die Energiestrategie 2050 hätte man sich durchaus auch etwas fortschrittlichere und offensivere Personen vorstellen können.

Politik 2020: keine grossen Fortschritte in der Energiepolitik?

Auf der politischen Bühne sind für das Jahr 2020 keine grossen Bewegungen und Gesetzeserlasse im Energiebereich zu erwarten. Simonetta Sommaruga amtet als Bundespräsidentin, das bringt eine Vielzahl zusätzlicher Verpflichtungen, sodass die wichtigen Gesetzesprojekte wohl erst 2021 in die entscheidende Phase kommen werden. Die Debatte zur CO2-Gesetzesrevision dürfte 2020 zwar im Parlament abgeschlossen werden, doch die Revision des Stromversorgungsgesetzes wird wohl nur gerade die Zusatzschlaufe der Vernehmlassung zu den begleitenden Massnahmen im Energiegesetz bewältigen können, obwohl bestimmte Punkte seit Jahren dringend einer Regelung bedürfen. Die Vernehmlassung zum Gasversorgungsgesetz wird auszuwerten und für das Parlament vorzubereiten sein. Hoffnung haben kann man, dass das Stromabkommen bei Fortschritten zum Rahmenabkommen zu Ende verhandelt wird.

2020: Viel Bewegung bei der Mobilität

Noch stehen die normalen Benzin- und Dieselautos bei den Autohändlern vorne in den Ausstellungsräumen und werden den interessierten Kundinnen und Kunden mit viel Werbung und grossen Rabatten angeboten. Aber der 1. Januar 2020 wird das Feld umpflügen. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Reduktion der Emissionen von Neuwagen auf 95 Gramm CO2/km kann von einzelnen Importeuren nur erreicht werden, wenn sie gleichzeitig viele E-Autos verkaufen. Plötzlich werden nun für E-Autos nicht mehr nur 5%, sondern (wie bei den Benzinern) 20% Flottenrabatte gewährt, plötzlich wird nun über E-Fahrzeuge positiver berichtet und die Negativkampagnen verstummen. Plötzlich empfehlen Treuhänder ihren Kunden, doch vor Jahresende noch ein tolles E-Auto zu kaufen: So spare man viel Steuern und der Wiederverkaufswert dürfte sich nun demjenigen der Benziner angleichen. Parallel nehmen aber auch die neuen Mobilitätskonzepte Schwung auf: Die SBB hat Green Class zu einem Baukastensystem weiterentwickelt, aus dem man massgeschneidert die passenden Elemente (GA, PW, Mobility, Bike, Taxi) auswählen kann.

Wärme und Gebäude – Leider wenig Fortschritte

Der Gebäudebereich, so wollen es Bundesverfassung und Energiedirektorenkonferenz, ist vor allem ein Aufgabenbereich der Kantone. Wenn man nun die Umsetzung der 2014 lancierten neuen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) betrachtet, kommen einige Zweifel auf, ob wir da auf Kurs sind. Noch und noch werden in den Kantonen die Energiegesetze abgeschwächt oder gar verworfen, überall drohen Allianzen von Hauseigentümer- und Gewerbeverbänden, die Vorlagen zu Fall zu bringen. Nicht zufälligerweise hat der eigentlich den Kantonen verpflichtete Ständerat nun bei der CO2-Gesetzgebung die Schrauben angezogen: Die Grenzen kantonaler Selbstregulierung werden deutlich.

Spannend dürfte sein, welche Wirkung das neue Programm von EnergieSchweiz «Erneuerbar Heizen», das im Januar 2020 an der Swissbau lanciert wird, haben wird. Es bietet Fachberatungen für Gebäudebesitzerinnen und -besitzer an, die diesen den entscheidenden Impuls für den Umstieg auf erneuerbare Heizsysteme geben sollen. Neben den steuerlichen Erleichterungen sowie den Beiträgen aus dem Gebäudeprogramm bestehen dann hoffentlich genügend Anreize, um den Erneuerbaren einen grösseren Marktanteil zu garantieren.

Forschung und Innovationen weiter unterstützen

Der Umbau der Energielandschaft kann nur gelingen, wenn Forschung und Innovationen aber auch pfiffige Startups vorangetrieben werden. Erfreulicherweise sollen die in den «Swiss Competence Centers for Energy Research» aufgebauten Kapazitäten ab 2021 über ein neues Gefäss des Bundesamts für Energie weiterhin als Verbundprojekte von Hochschulen, Fachhochschulen und Wirtschaft unterstützt werden. Daraus dürften also noch viele neue Erkenntnisse, Innovationen sowie Technologien entstehen. Noch werden die sich daraus entwickelnden Startups nicht optimal gefördert. Der von Bundesrat Schneider-Ammann lancierte neue private Fördertopf hat noch nicht die richtige Flughöhe, um Breitenwirkung zu entfalten. Aber verschiedenste Energie-Startups, die übrigens im Juni 2020 an den Powertagen 2020 mit der xplor Startup Competition eine attraktive Plattform erhalten, signalisieren ihren Willen, die Chancen zu packen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind. Für viele wäre die vollständige Marktöffnung ein geeigneter Türöffner: Dann können endlich neue Konzepte und Innovationen in den Markt eintreten, dann kann Wettbewerb echte Vorteile bringen.

 

Erscheint im Energate Messenger Schweiz

Monatlich diesen Blog zur schweizerischen Energiepolitik automatisch erhalten? Dann bitte auf nebenstehendem Kästchen Name und Mail-Adresse eingeben…

Gasmarkt umfassend regulieren oder besser die Energietransition anstossen?

Die Ölkrise der frühen 1970er Jahren brachte die einseitige Erdölabhängigkeit der Schweiz schmerzlich an den Tag. Als Alternative kam Erdgas ins Spiel. So sollte beispielsweise das bisherige aus Kohle hergestellte Stadtgas durch Erdgas ersetzt werden, das im Norden Europas aus dem Untergrund gewonnen und importiert werden konnte. Die Gesellschaft Swissgas sollte den Bau eines nationalen Gasnetzes vorantreiben und auch das benötigte Gas im Ausland gebündelt einkaufen. Der Bundesrat erteilte die Konzessionen für das neu zu errichtende Rohrleitungsnetz und legte darin auch fest, dass im Swissgas-Verwaltungsrat der Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) Einsitz nehmen sollte, um den Ausbau dieser neuen Infrastruktur eng zu begleiten und promoten.

Die Schweiz – ein attraktives Transitland für Verkehr, Strom und Gas

Bald meldete sich der italienische Energiekonzern ENI, der mit Blick auf die Versorgungssicherheit Italiens eine Pipeline durch die Schweiz bauen wollte. Der Bund sowie die Schweizer Gaswirtschaft erkannten die Möglichkeit, dass so – ähnlich wie hundert Jahre zuvor beim Bau des Gotthardtunnels – eine zum grössten Teil durch ausländische Geldgeber finanzierte Transversale durch die Schweiz errichtet werden könnte. Diese Pipeline sollte einerseits das Rückgrat der schweizerischen Gasversorgung bilden, anderseits die von Italien gewünschte Verbindung zu den nordeuropäischen Gasvorkommen garantieren als auch die Anbindung an die russischen Gasströme sicherstellen. Man einigte sich darauf, dass die Investitionen zu 90% von ENI übernommen, jedoch 51% der Aktien der neuen Transitgas AG von der Schweiz über Swissgas gehalten werden sollten. Italien erhielt 90% der Durchleitungsrechte, da die restlichen 10% zur Deckung des Inlandverbrauchs der Schweiz vollauf genügten. Die Schweiz hat von diesem Deal in den letzten Jahrzehnten bestens profitiert. Entstanden ist ein kostengünstiges Zuliefersystem für die Schweizer Gasverbraucher, bei dem ein schöner Teil der Kosten und Risiken vom Ausland mitgetragen wird. Im Zweifelsfall hat zudem gemäss internen Weisungen die Belieferung der schweizerischen Konsumenten Vorrang. Ausserdem bietet Transitgas über 50 Arbeitsplätze in der Schweiz und zahlt zusammen mit der Kapazitätsvermarktungsgesellschaft Fluxswiss nicht unerheblich Steuern.

Gasmarkt Schweiz seit 1963 geöffnet

Die europäischen Strom- und der Gasmärkte wurden seit den Neunzigerjahren mit drei Liberalisierungspaketen sowie jüngst mit dem Clean Energy Paket geöffnet. In der Schweiz fokussierte sich die Marktöffnung vorerst auf den Strommarkt. Der Gasmarkt flog lange Zeit unter dem Radar. Erst die Klagen von Grosskonsumenten in den Nullerjahren machten bewusst, dass mit einem einzigen Artikel (Art. 13) des Rohrleitungsgesetzes RLG der schweizerische Gasmarkt faktisch bereits seit 1963 geöffnet ist. Im RLG ist auch festgehalten, dass das BFE bei Konflikten entscheiden muss.

Diese Klagen führten schliesslich zu einer privatrechtlichen Marktöffnung für grosse Verbraucher, die in einer Verbändevereinbarung zwischen Gaswirtschaft und Grosskonsumentenverbänden festgeschrieben wurde. Doch weitere Klagen folgten, nun von kleineren Konsumenten, und es drohen Entscheide der Wettbewerbskommission. So wünscht sich die Gaswirtschaft nun plötzlich die möglichst baldige Inkraftsetzung eines Gasversorgungsgesetzes, um von der Wettbewerbsbehörde ja nicht zu saftigen Bussen verurteilt zu werden.

Kommt das GasVG zu spät?

Ende Oktober 2019 hat der Bundesrat den Entwurf eines Gasversorgungsgesetzes (GasVG) in die Vernehmlassung geschickt. Ein Entwurf mit über 40 Artikeln, der den Markt und den Monopolteil ziemlich umfassend regulieren will. Das GasVG könnte wohl etwa 2024 in Kraft treten und gegen Ende des Jahrzehnts lägen dann die definitiven Entscheide der letzten Instanz, des Bundesgerichts, zu den zu erwartenden Klagen vor. Spät oder gar zu spät, denn bis dahin sollten, gemäss den Forderungen der Klimajugend, die fossilen Energieträger und damit auch Gas bereits ziemlich vollständig aus dem Energiesystem verbannt sein.

Umfassende Gasmarktregulierung oder ganzheitliche Transition des Energiesystems

Während in der Schweiz die Öffnung des Gasmarktes erst jetzt gesetzesmässig angegangen wird, verabschieden sich die Regulatoren in der EU bereits wieder von diesem Ansatz. Sie wollen ab 2025 ein neues Modul installieren, welches stark auf die Transition der Energiesysteme ausgerichtet ist und erneuerbare Gase sowie die Dekarbonisierung fördert. Deshalb verlangen die Regulatoren nun nicht mehr weitere harte wettbewerbliche Regulierungen im Gasbereich sondern Platz für Versuche (Reallabore) und Pilotprojekte. Gas soll so als Teil der Lösung auf dem Weg in eine ganzheitliche erneuerbare Energiezukunft positioniert werden.

Schnittstellen definieren statt Märkte einzeln regulieren

Der Schweizer Gesetzgeber wird sich deshalb gut überlegen, ob aktuell nicht eine sehr schlanke, die Marktöffnung klar definierende Gesetzgebung (vielleicht gar als Ergänzung des Rohrleitungsgesetzes) genügen würde, um das über der Branche hängende Damoklesschwert der Wettbewerbskommission zu entschärfen. Anschliessend könnte eine Novelle des Energiegesetzes die Transition der Bereiche Strom, Gas, Wärme und Mobilität unter Berücksichtigung der Spielregeln für die Sektorkopplung ganzheitlich definieren. So könnte der Weg in eine erneuerbare Zukunft mit viel Spielraum für Experimente und Pilotprojekte mit einzelnen lokalen sowie regionalen Marktmodellen skizziert geöffnet werden.

Wir wissen alle, dass die grosse Herausforderung des Übergangs in die neue Energiewelt die Bewältigung des Spitzenbedarfs im Winter und damit die Energiespeicherung sein wird. Dazu muss die Umwandlung von Strom in erneuerbares Gas und Wasserstoff systemisch vorangetrieben werden. Entsprechende Innovationen brauchen eine adäquate Förderung. Statt der umfassenden Regulierung der einzelnen Märkte sollten vielmehr die Schnittstellen zwischen Strom, Gas, Wärme, etc. richtig definiert werden, um die Versorgungssicherheit zu garantieren und die Transition mit geringstmöglichen volkwirtschaftlichen Kosten zu erreichen.

Transite weiterhin als Trumpf für unser Land einsetzen

Ebenfalls zu überlegen ist, ob es für die Gastransite tatsächlich eine umfassende Regulierung braucht. Denn die Transite und damit die Transit-Durchleitungstarife der Schweiz befinden sich bereits in einem harten direkten Wettbewerb mit den übrigen Transitpipelines sowie den LNG-Terminals in Italien. Heute werden durch die marktnahe Vergabe der schweizerischen Transitkapazitäten Gewinnmöglichkeiten gezielt wahrgenommen, gleichzeitig aber auch die nicht unbedeutenden Risiken privat getragen. Das heutige System erlaubt die Versorgungssicherheit der Schweiz beinahe als Nebenprodukt eines austarierten internationalen Systems zu garantieren und die Schweizer Konsumenten damit nur minimal zu belasten. Je enger und einschränkender der schweizerische Regulierungsrahmen gesetzt wird, desto weniger attraktiv werden die Transite. Und desto mehr werden die einheimischen Konsumenten für die Garantie der Zuleitung von Gas Richtung Schweiz bezahlen müssen.

Erscheint am 28. November 2019 im Energate Messenger Schweiz

Der nationale Fest- und Veranstaltungskalender im Energiebereich

Heute, am Donnerstag 24. Oktober, geht die Saison der grösseren Veranstaltungen für die Energiebranche mit der 7. Smart Energy Party in der Umweltarena Spreitenbach zu Ende. Zeit, einmal die wichtigsten Events des energetischen Fest- und Versammlungskalenders unter die Lupe zu nehmen.

Der entspannte Jahresauftakt

Den Jahresauftakt bildet seit 2002 der Neujahrsapéro des Bundesamts für Energie BFE. Seit 2007 wird an diesem Anlass auch der Energie-Oscar der Schweiz, der Watt d‘Or verliehen. An diesem Event treffen sich jeweils gegen 800 Teilnehmende aus allen Energiebranchen von Strom, Gas, Wärme, Öl, Erneuerbare, Grossverbraucher bis Energieeffizienz mitsamt Vertreter/innen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und der Diplomatie. Früh im jungen Jahr, kurz nach den Feiertagen, das nächste Mal am 9. Januar 2020, bietet der Anlass in einer noch sehr entspannten Stimmung ein supereffizientes Networking, bei dem sich viele Jahrespläne bereits aufgleisen lassen.

Der Stromkongress

Etwas später im Januar folgt jeweils der Stromkongress, den VSE sowie Electrosuisse ursprünglich als Gegenveranstaltung zu einem privaten Tagungsorganisator lancierten. Inzwischen ist der Stromkongress zu einem Pflichttermin geworden, auch wenn die angekündigten Referenten aus Brüssel des Öfteren nicht wirklich auftreten, sondern sich vom EU-Botschafter oder anderen Experten vertreten lassen. Aber Bundesrätin, Amtsdirektoren, ElCom-Präsident und Parlamentarierrunde sind feste Elemente des Events, dessen Abendprogramm manchmal variétéhafte Züge annimmt.

Die Generalversammlungen und der untergegangene Verband

In den darauffolgenden Monaten finden all die verschiedenen Generalversammlungen der Branchenverbände, der einzelnen Firmen, der einzelnen VSE-Gruppen sowie der Landesteilverbände statt. Da ist viel an Pflichttraktanden und Routine dabei, da kann aber sehr wohl auch mal die Auflösung eines Verbandes wie der Swisselectric beschlossen werden, weil sich die Firmen mehr und mehr als Konkurrenten verstehen oder die persönliche Chemie der CEOs nicht mehr stimmt.
Wie erinnere ich mich zurück an meine Sitzungen im Kreis der vorerst nur lose verbundenen Überlandwerke zurück, wo schon bald nach Sitzungsbeginn die wesentliche Frage des Tages zu beantworten war: Wann gehen wir ins Apéro und zum mehrgängigen feinen Mittagessen in einem Hauben-Restaurant – es lebte der informelle Austausch bei Tisch. Dann folgte die geschäftig-professionelle Phase der Swisselectric mit vielen Traktanden, Arbeitsgruppen und Berichten, welche zu einer gemeinsamen nationalen sowie europäischen Positionierung beitragen sollten. Zudem hatten sie durchaus den Anspruch, den von ihnen massgeblich finanzierten VSE zu dominieren und den Kurs in allen Themen von der Wasserkraft über Europa bis zu Forschung und Entwicklung zu bestimmen. Heute ist Swisselectric aufgelöst, nur gerade Swissnuclear verwaltet noch die gemeinsame Vergangenheit der Grossen im Stromproduktions- und Handelsgeschäft.

Die Saison der Foren und Tagungen

Bunt über das ganze Jahr verteilt werden verschiedenste Informations-, Weiterbildungs- und Networkingevents angeboten: Alternierend finden der Stadtwerkekongress sowie die Powertage statt. Die AEE bietet einen Kongress für die progressiveren Marktteilnehmer an. Der VSE lädt zur Betriebsleitertagung nach Brunnen und der DSV zu seinem Forum in Olten ein. In die Reihe der Veranstalter reihen sich auch Swissgrid und die ElCom ein, welche ihre Überlegungen, Konzepte sowie Vorgaben präsentieren. Dann finden in der Sommerzeit auch gemütliche Anlässe einzelner EVUs auf Seen oder anderen wunderschönen Orten statt, zu denen man nur mit persönlicher Einladung kommt und die dem informellen Austausch sowie der Diskussion möglicher gemeinsamer Projekte dienen.

Das jüngste Kind: Die Smart Energy Party

Und seit wenigen Jahren schliesst das Veranstaltungsjahr – bevor alle zu ihren traditionellen Weihnachts- und Jahresschlussfeiern übergehen – mit der Smart Energy Party ab. Dieses von der TELCO-Branche kopierte Format hat sich rasch als neuer Begegnungsort etabliert, an dem sich um die 1000 Teilnehmer treffen. Die Ausgestaltung als kommunikativ-teamorientierter Tisch-Event ist attraktiv, die Präsenz ziemlich inkludierend (da muss man gesehen werden) und das Programm mit vielen Referaten sowie Präsentationen eher zu dominierend im Abend.

Formate mit Format?

Was mir als langjähriger Besucher und Mitwirkender dieser diversen Eventformate auffällt:

1. Der Branche scheint es recht gut zu gehen, sonst hätten die vielen Teilnehmenden nicht Zeit, sich an einer derart grossen Zahl von Veranstaltungen zu zeigen.
2. Viele Veranstalter handeln nach dem Motto „The same procedure as every year“ und repetieren ihr Rezept: Ein Referat aus der Verwaltung, eines von einem Consultant oder einer branchennahen Anwältin zur Klärung neuster Sachverhalte, ein internationales Element, ein Podium mit Branchenvertretern und Konsumenten und dann geht es zum Apéro und gemütlichem Teil. Überraschungen und Inspiration beim Programm und den Referaten fehlen: Reicht dies für die Zukunft?
3. Es muss nicht immer Christa Rigozzi sein: Ihr fröhlicher Tessiner-Charme in der Tradition der Stimmungskanone Nella Martinetti mag ja an VSE-Jubilarenfahrten angemessen sein. Aber an Fachanlässen wünscht man sich eine Moderation mit Fachkompetenz, Branchenkenntnissen und Tiefgang, die neue Ansichten und Meinungen herausschälen kann, und weniger das sich selbst Zelebrieren.

Der amerikanische Traum und das mögliche Aus der Ölwirtschaft

Erste Klagen gegen die Ölwirtschaft als Vorzeichen des Niedergangs?

Eines der spannendsten Kurzreferate hielt Ben Franta von der Stanford Law School: er zeigte nicht nur auf, dass Exxon in internen Papers bereits in den Achtzigerjahren die Klimaerwärmung ziemlich exakt voraussagte, sondern wies auch darauf hin, dass die Ölindustrie zu einer ähnlichen Problembranche werden könnte wie die Zigarettenindustrie: „Is Exxon Mobile the new Philipp Moris?“ Aktuell sind 9 Klagen von Städten wie New York gegen Erdölkonzerne hängig, welche als Verursacher des Klimawandels angeklagt sind. Vertreter der Stanford Law School meinen, dass derartige auf dem in den USA harten Verursacherprinzip basierenden Rechtsstreitigkeiten oft nach Jahrzehnten zu einem totalen Aus der Branche führen.

Stromabschaltungen bald an der Tagesordnung?

Wenig später hörten wir, dass einzelne Teilnehmer der Swiss-US Energy Innovation Days SUEID allenfalls bei ihrer Rückkehr nach Kalifornien von einer grossflächigen Stromabschaltung betroffen sein könnten. Das unter Konkursverwaltung stehende EVU PG & E befürchtet, dass die aufkommenden Winde zusammen mit den nicht optimal gewarteten Stromleitungen Waldbrände auslösen könnten. Deshalb wird 800‘000 Haushalte für Tage der Strom abgestellt und PG&E wird zum dritten Mal innert zwei Monaten die Systeme nach den Abschaltungen wieder hochfahren müssen. Versorgungssicherheit sieht anders aus…..

Die Zukunft des American Dreams: little boxes on the hillside?

Zu Beginn des dritten Tages besuchten wir das Grossprojekt Whisper Valley, das eine halbe Stunde von Austin entfernt auf 200 acres in den nächsten Jahren rund 7500 Wohnungen und Häuser für rund 30’000 Personen bauen wird. Vor der Finanzkrise war dort ein Riesen-Golfplatz geplant, nun ist eine ab der Blaupause nach Nachhaltigkeitskriterien  geplante Grosssiedlung rentabler. Die Häuser verfügen alle über eine PV-Anlage, sie  nutzen einen zentral angelegten Geothermie-Loop für Kühlung und Wärmegewinnung in Nahwärmeverbünden und sie bieten den amerikanischen Traum des Lebens im eigenen Heim mit einem recht grossen Garten an. Die einzelnen Häuser sind industriell gefertigt und entsprechen bezüglich Stabilität und Energieeffizienz nicht unbedingt unseren europäischen Vorstellungen. Aber sie sind mit Preisen von 250‘000 – 400‘000 Dollar durchaus für mittlere Einkommen dank tiefer Zinsen erschwinglich. Da aber der öffentliche Verkehr nicht existent ist, sind für normale Familien wohl zwei Autos ein Muss. Der Einbezug eines Mobilitätskonzeptes ist zwar auf der Agenda der Entwickler, soll erst zu einem späteren Zeitpunkt konkretisiert werden.

..oder die städtische Alternative SeaholmEco District

Zum Abschluss der Swiss-US Energy Innovation Days SUEID besuchten wir im Stadtzentrum vorerst den neu errichteten Seaholm Eco District. Er bietet mit seiner Nähe zum See sowie den Parks eine echte Alternative zum oben beschriebenen ländlichen Wohnen. Auf dem Gelände eines ehemaligen Kraftwerks wurden Wohnungen, Büros sowie Freizeiteinrichtungen errichtet, bei welchen LEED-Standard, Solarpanels, Airconditioning mit Kühlwassersystemen, Regenwassersammlung für die Toilettenspülung, Velo- und Autosharing sowie öffentliche Kunstinstallationen in der Umgebung als attraktive Trümpfe präsentiert werden. Selbst der Solarkiosk mit Ladestationen für EV, E-bikes, Handys und Tablets fehlt nicht. Teile des stillgelegten Kraftwerks stehen noch und geben dem gesamten Komplex einen Hauch von wiederauflebender Industriekultur.

Die städtische Bibliothek – ein neuer In-Place downtown

Mit echtem Stolz präsentierte uns Dub Taylor, Direktor des Texas State Energy Conservation Office SECO,  zum Schluss und als Höhepunkt die vor zwei Jahren neueröffnete städtische Bibliothek, welche bereits verschiedenste Awards gewonnen und LEED Platin erreicht hat. Auf dem attraktiven Rooftop-Garten ist die grösste Solaranlage in Austin installiert, Riesenzisternen sammeln das Regenwasser für die Toilettenspülung und Energieeffizienzinvestitionen wurden nach neusten Überlegungen getätigt. Der rund 120 Millionen Dollar teure Bau ist aber weit mehr als nur eine Bibliothek: es ist ein neuer öffentlicher Raum für Begegnungen, Kultur, Kochvorführungen etc.. Da kann man sich mit 3-D-Printing befassen, da kann man für Arbeiten Tablets ausleihen, da kann man in Gruppenräumen Schulaufgaben gemeinsam machen. Die Bibliothek scheint zu einem In-Place für die Stadt geworden zu sein, in dem man sich am Wochenende trifft, orientiert oder weiterbildet. Ganz wie es ein Spruch an einer Wand der Bibliothek sagt: first you are a reader, than you are a leader.

Weht bald der Texas-Star vor dem BFE-Gebäude?

Symbolisch das Geschenk, das SECO-Chef Dub Taylor dem Direktor des Schweizerischen Bundesamts für Energie BFE übergab: eine Texas-Flagge, welche am Tag des Beginns der SUEID auf dem Capitol, dem Gebäude der Regierung sowie des Parlaments von Texas, geweht hatte. Benoît Revaz versprach, dieser Flagge nach dem für Sommer 2020 geplanten Umzug des BFE in ein neues Gebäude einen würdigen Platz zu geben und damit an die höchst informative sowie attraktive Veranstaltung in Texas zu erinnern.