Neues entdecken statt jammern

Natürlich könnte ich, wie gerade beinahe die halbe schreibende Schweiz, in meinem monatlichen Blog den vom Bundesrat vorgelegten Ausstiegsplan aus dem Lockdown kritisieren. Ich hätte beispielsweise die Hemdenwasch- und Bügelservices als quasi „überlebenswichtige“ Dienstleistung für die männliche Hälfte der Bevölkerung spätestens am 27. April wieder geöffnet.

Natürlich könnte auch ich tiefgreifende Reformvorschläge für die Wirtschaftliche Landesversorgung machen, auf dass wir bei künftigen Pandemien keine Engpässe mehr bei den Masken, Desinfektionsmitteln und Klopapier befürchten müssen (ich war mal in einem Kanton für diesen noch immer stark von der Kriegswirtschaft geprägten Bereich zuständig und habe da meine Erfahrungen).

Natürlich lockt es mich auch zu einem bösen Kommentar, wenn ich in einer Pressemitteilung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds lese, dass die EVU mit der Coronakrise aktuell alle Hände voll zu tun hätten, mit der neuen Situation eines massiv geringeren Stromverbrauchs umgehen lernen müssten, und deshalb eine Strommarktöffnung völlig verfehlt wäre: „Der Bundesrat würde sich besser damit befassen, wie der Strombranche über diese Krise hinweggeholfen werden kann.» Muss wohl bald die Glückskette eine Sondersammlung für die bitterarme Energiebranche durchführen, falls der Bundesrat kein Sonderprogramm für die EVU auflegt?

Nein, ich will nicht in das allgemeine Jammern und Wehklagen einstimmen, sondern von einigen Startups und Initiativen berichten, die in den letzten Wochen engagiert an ihren Projekten gearbeitet haben und uns Wege in die Zukunft aufzeigen können.

Pflanzenkohle hilft Klimaeffekte reduzieren

Bei verschiedensten Produktionsprozessen für unsere Nahrungsmittel bleiben Pflanzenreste zurück, die genutzt werden können. Mit einer Pyrolyse werden daraus Wärme und Strom erzeugt und es bleibt Pflanzenkohle als Restprodukt. Gesamthaft ist dieses Verfahren klimapositiv, weil beim Pyrolyseprozess weniger CO2 entsteht als vorher von der Pflanze beim Wachstum aufgenommen wurde. Das Ökozentrum hat kleinere Pyrolyseanlagen in Peru und Vietnam erfolgreich installiert, in der Schweiz ist nun eine erste grossvolumige Anlage kurz vor der definitiven Inbetriebnahme.

Wasserstoff speichern: Korea investiert in Schweizer Startup

Das Spin-off GRZ der EPFL Sion will überschüssigen Strom als Wasserstoff dicht, sicher und kostengünstig speichern. Auf dem Campus der EPFL Sion findet sich eine Laboranlage, bei der die Besucher die Umwandlung von PV-Strom in Wasserstoff auf einem Rundgang durch die verschiedenen Stockwerke des Gebäudes miterleben können. Ein erste grössere Power-to-Gas-Anlage sollte in diesen Wochen in Sion in Betrieb genommen werden. Bei Lonza soll ein Grossversuch gefahren werden und weitere Anwendungen sind in verschiedenen Kantonen in Diskussion. Bereits hat sich die koreanische Hyundai-Gruppe finanziell bei GRZ engagiert, da sie sich von dieser Technologie auch für den Mobilitätsbereich einiges erhofft.

Qualifizierte Mitsprache der Betroffenen bei der Linienführung neuer Leitungen

Leidvolle Erfahrungen habe ich als BFE-Direktor beim Neubau von elektrischen Leitungen gemacht: Einsprachen und langwierige Entscheidungs- sowie Gerichtsverfahren verzögerten den Ausbau des für die Versorgungssicherheit wichtigen Netzes. Inzwischen sind dank der Strategie Stromnetze die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas verbessert worden, doch die Umsetzung muss nun neu definiert und erprobt werden. Das ETHZ-Spin-off Gilytics nutzt gezielt Geodaten, um verschiedene Varianten der Leitungsführung in einem Gebiet grafisch darzustellen. So können die Stakeholder durch die Bewertung verschiedener Kriterien (Distanz zu bebauten Raum, zum Naturschutzgebiet oder zum Wald etc.) die optimale oder zumindest die breitest akzeptierte Variante finden. Erste Pilotversuche laufen bei Swissgrid, Axpo und TenneT, weitere – etwa bei den SBB – werden in den nächsten Monaten starten. Gekoppelt werden sollen diese digitalen Prozesse später mit Versuchen regionaler Partizipation, die einen qualifizierten Einbezug der Bevölkerung, Entscheidungsträger sowie Interessengruppen erlauben.

Second-Life für Batterien

Elektromobilität boomt und damit kommen mehr und mehr Batterien als Speicher zum Einsatz. Im Mobilitätsbereich werden Batterien nur benutzt, solange sie mehr als 80% der ursprünglichen Leistung erreichen. Doch nachher ist eine Zweitnutzung im stationären Bereich denkbar, muss aber noch breiter ausgetestet und auf die Vorteile gegenüber einem normalen Recycling geprüft werden. Verschiedenste Forschungsgruppen entwickeln dafür Lösungen. Das Ökozentrum hat eine Pilotanlage für die Post realisiert, bei der die in den Postdreirad-Fahrzeugen genutzten Batterien ein zweites Leben erhalten. Sie speichern den auf den Postgebäuden produzierten Solarstrom, erhöhen so den Eigenversorgungsgrad dieser Bauten und entlasten so die Stromnetze.

Dies sind nur vier aus einer grossen Zahl spannender Projekte, die jetzt vorangetrieben und zu einem eigentlichen Innovationsschub im Energiebereich führen können. Vieles tut sich bei der Digitalisierung, einiges hilft mit, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, nicht wenige versuchen, Energie als Gesamtsystem zu optimieren und die Schranken zwischen den einzelnen Märkten sowie Technologien zu überwinden. Es ist zu hoffen, dass diese Ansätze durch Corona nicht gebremst werden, sondern eher zusätzlich Schub erhalten, weil sie uns in eine nachhaltigere Zukunft führen können.

Natürlich kommt man mit dem Begleiten und Unterstützen derartiger Projekte derzeit nicht auf der grossen Bühne der auf Corona-Fragen eingeschnappten Medien, aber das ist mir auch ziemlich wurscht: ich habe auch nicht den Anspruch wie einige selbstverliebte Leadsänger der Oekonomenzunft (Eichenberger und seine Freiburger Schule) täglich dem Bundesrat die Leviten lesen und den Epidemologen beweisen zu müssen, dass sie besser die Krone der wissenschaftlichen Schöpfung, nämlich Ökonomie, studiert hätten.

Ein Gedanke zu „Neues entdecken statt jammern“

  1. Gut zu lesen und zu wissen. Mir gefällt durchaus auch der ironisch sarkastische Ton in der Einleitung und am Schluss. Besonders der Aspekt „Second Life für Batterien“ scheint mir vielversprechend als Argument in der PV- und der E-Mobile-Diskussion.

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