Im Krisenmodus

Langsam gewöhnen wir uns an das neue Regime unter Corona. Langsam wird die digitale Kommunikation zur Selbstverständlichkeit. Ich stelle sogar fest, dass diverse Gruppen mit vielen ü65-Jährigen überlegen, sich vermehrt statt nur in Telefonkonferenzen auch über Videocalls mit Zoom, Webex Meet oder Microsoft Teams auszutauschen. In Sachen Digitalisierung machen wir nun in der Schule, in der Wirtschaft aber auch in der Gesellschaft innert weniger Wochen rasante Fortschritte. Auch weil die kritischen Energie-Infrastrukturen derzeit problemlos funktionieren.

Die Pandemie Business Continuity Pläne der Strom- und Gasfirmen haben sich als robust und tauglich erwiesen. Der Umstieg in den Krisenmodus hat bei praktisch allen Unternehmen bestens geklappt: Früh wurde definiert, wer speziell gefährdet oder unbedingt einsatzfähig sein sollte, es wurden Gruppen gebildet, die sich periodisch ablösen und die Betriebsbereitschaft hochhalten. Früh wurden auch jene Leute, deren Präsenz im Büro nicht unbedingt nötig ist, ins Homeoffice verabschiedet.

Auch auf Bundesebene läuft das Krisenmanagement derzeit sehr gut. Eine gute Gelegenheit, darauf zurückzublicken, wie dieses Krisenmanagement entstanden ist und sich bis heute entwickelt hat.

Am Anfang war der LAR

In den Nuller-Jahren hatte der Bund eine einzige Krisenmanagement-Organisation, den LAR (Leitungsausschuss Radioaktivität). In ihm vertreten waren verschiedene Departemente und Bundesämter, und er war ausschliesslich für Nuklearereignisse zuständig. Im LAR trafen sich die Kaderleute der einzelnen Verwaltungseinheiten vier- bis sechsmal jährlich zu einer Sitzung. Sie berichteten über die getroffenen Vorkehrungen wie die Jodtablettenverteilung oder die Absprachen mit einzelnen kantonalen Polizeicorps. Im Ernstfall hätte der LAR innert weniger Stunden eine Ämterkonsultation zu den vom Bundesrat zu fällenden Entscheiden durchgezogen, ein Prozess, für den im Normalfall drei Wochen zur Verfügung stehen. Zudem fand alle zwei Jahre zusammen mit den kantonalen sowie kommunalen Führungsstäben eine grosse Übung statt: Mal nahm man dabei an, dass in Beznau eine radioaktive Wolke auszutreten droht, mal wurde Mühleberg mit einer riesigen Überschwemmung des Wohlensees beübt, mal wurde an einem Bahnhof eine Dirty bomb supponiert gezündet. Bezahlt wurden alle Aufwendungen dieser Stäbe und Verwaltungseinheiten von den Kernkraftbetreibern.

….daraus entwickelte sich der Bundesstab ABCN

Nach den vom Generalsekretär VBS geleiteten LAR-Sitzungen fand üblicherweise ein Apéro statt, an denen wir öfters diskutierten, dass eigentlich neben Atomkatastrophen auch andere Grossereignisse periodisch geübt werden sollten, um für den Ereignisfall gewappnet zu sein. Nach etlichen Runden – auch mit Generalsekretären und Bundesräten – waren wir uns einig, dass von diesem Krisenstab die Bewältigung von sowohl A = Atomkatastrophen, als auch B = Biologie (Pandemie), C = Chemie und N = Naturgefahren (Erdbeben, Überschwemmungen) koordiniert werden sollten. Das wurde dann in eine Rechtsform gegossen und auf den 1. Januar 2011 als ABCN-Einsatzverordnung in Kraft gesetzt. Anfang 2018 wurde diese dann durch die Verordnung über den Bevölkerungsschutz abgelöst.

Feuerprobe Fukushima

Es gab keinen sanften Start für dieses neue Gremium, denn nur etwas mehr als zwei Monate später explodierten in Fukushima vier Kernkraftwerke. So wurde eilig für den 15. März 2011 zur ersten Sitzung des Stabs eingeladen. Gemäss Verordnung sollte der Direktor des hauptbetroffenen Amtes in der jeweiligen Krise den Bundesstab führen, aber – oh Schreck – nun hatten die Direktoren des Bundesamts für Bevölkerungsschutzes, des Bundesamts für Gesundheit sowie des Bundesamts für Energie je von ihren BundesrätInnen die Order erhalten, die Führung zu übernehmen. Nach einer längeren Diskussion einigten wir uns auf die Formel, dass der Tag ja 24 Stunden hat und jeder der drei Direktoren für 8 Stunden die Federführung innehaben darf. Wir kamen beinahe täglich zusammen, tauschten uns zu Lage, Entwicklung sowie nötigen Massnahmen aus, machten gemeinsam Vorschläge für Bundesratsentscheide im Sinne einer Ämterkonsultation. Und es wurden beispielsweise auch Empfehlungen für den Schweizer Botschafter in Tokyo formuliert. Zudem stellte der ebenfalls Einsitz nehmende Sprecher des Bundesrates täglich einige spannende Themen für einen Point de presse zusammen, bei dem die anwesenden Amtsvertreter einzelne Aspekte der Krise aus ihrer Perspektive darstellen konnten.

Einbezug von KdK und EnDK als Gemeinschaftsinstitutionen der Kantone

Nach wenigen Tagen wurde auch Vertreter der Konferenz der Kantonsregierungen sowie der zuständigen kantonalen Direktorenkonferenzen in den Bundesstab geholt. Zudem wurde allen bewusst, wie wichtig das Know-how und die internationale Vernetzung von Fachstellen wie MeteoSchweiz für die Arbeit des Gremiums sein kann. Nur mit ihrer Unterstützung war es beispielsweise möglich, der Botschaft in Tokyo einen qualifizierten Rat zu geben, ob sie mitsamt ihrem Personal vorübergehend nach Osaka umziehen sollte.

.. aber trotzdem Sololäufe einzelner Kantone

Nach dem Ereignis Fukushima wurden die Lessons learnt gezogen und die Aufgaben einzelner Elemente wie der Nationalen Alarmzentrale präziser definiert. Parallel sollte die Zusammenarbeit mit den Kantonen über ein neues Gremium, den Sicherheitsverbund Schweiz, gestärkt werden. Dass in einem föderalistischen Staat trotzdem immer wieder kantonale Alleingänge vorkommen, erleben wir gerade in diesen Wochen wieder. Zwar darf der Bund gerne die Basler Fasnacht verbieten, weil die Kantonsregierung in einem Wahljahr dazu kaum den Mut gehabt hätte, aber die Schliessung der Baustellen in einzelnen Kantonen wird noch so gerne für einen Sonderzug genutzt.

In Krisen Köpfe kennen

„Üben – verbessern – üben – optimieren – üben“ war in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen supponierten Ereignisfällen angesagt: 2014 war ein Ereignismix mit einer Pandemie sowie einer Strommangellage Basis für die Sicherheitsverbundsübung SVU 2014. Immer ging es dabei darum, sich mit den Ereignissen vertraut zu machen, aber auch um den Willen zur Zusammenarbeit sowie das Vertrauen in die Partner: «In Krisen Köpfe kennen» war das Motto dieser Anstrengungen. Und wenn jetzt an den Medienkonferenzen mit den Fachleuten, die zwischen den Bundesratssitzungen stattfinden, jeweils die Vertreter der einzelnen Bundesämter gemeinsam auftreten, sich gegenseitig ergänzen und neue Aspekte einbringen, dann wird das Resultat dieser Übungen sichtbar.

M. M., ein durchaus kritischer Bloger aus der Region Basel mit langer journalistischer Vergangenheit, hat diese Woche seine Eindrücke nach einem dieser point de presse wie folgt zusammengefasst: «Berner Spitzenpersonal, civil servants at its best. Sie sind nicht der Politik, den Parteien verpflichtet, sondern der Regierung. Sie bereiten vor und setzen um, was ihnen der Bundesrat vorgibt. Man mag ihre Neutralität in Normalzeiten hie und da anzweifeln. Doch jetzt haben wir keine normalen Zeiten. Deshalb können wir uns glücklich schätzen, dass wir jetzt Leute von solcher Qualität an verantwortlichen Stellen sitzen haben, die unaufgeregt, einfach ihren Job machen. Rumnörgeln können wir später wieder.» https://arlesheimreloaded.ch/rumnoergeln-koennen-wir-spaeter-wieder/

Vom Nörgeln über eine Task-Force zum Köpfe rollen

Dieses Meckern und Rumnörgeln hat aber bereits begonnen. Auch bei den Immunologen – wie 2011 bei den Atomwissenschaftern – gibt es ja nicht wenige (ob emeritiert oder noch im aktiven Berufsleben), welche sich gerne öffentlichkeitswirksam in Szene setzen und den Bundesrat beraten möchten. Sie fordern eine Task-Force, in der sich die Fachwelt mit allen klugen Köpfen aus Epidemiologen, Virologen, Medizinern, Ökonomen, IT-Leuten und weiteren Expertinnen austauschen und Empfehlungen abgeben soll. Ich bin überzeugt, man wird ein derartiges Gremium in Bälde zusammenstellen, damit man auch diese Kritiker eingebunden hat – aber ob das Nutzen stiften wird, darf bezweifelt werden.

Und bald schon wird die nächste Phase folgen, die ich aus der Post-Fukushima-Geschichte bestens kenne: Nach etwa drei Wochen kam meine Kommunikationschefin zu mir und meinte, die Medien suchten nun einen Sündenbock, das gehöre nach Krisen immer dazu, es werde sicher die Forderung kommen, dass ein Kopf rollen muss. Eigentlich gäbe es zwei Kandidaten, der andere sei der Präsident des Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI. Und tatsächlich, nach drei Wochenenden mit dreisten Filz- und Korruptionsbehauptungen der Sonntagszeitung, musste der Präsident des ENSI, ein mutiger, kompetenter und unbestechlicher Ingenieur mit Berner Schädel, als Chef dieser Behörde abtreten. Ich bin gespannt, wem es diesmal den Kopf kosten wird – ich habe da so meine Vermutungen….

Erscheint am 26. März im Energate Messenger Schweiz