Wie trotzen start-ups der Corona-Krise?*)

Viel wurde in den vergangenen Wochen darüber berichtet, wie einzelne Branchen und Firmengruppen die Corona-Krise bisher gemeistert haben, welche Unterstützungen sie erhalten haben und wie sie sich auf dem Binnen- und dem internationalen Markt positionieren konnten. Laut und fordernd setzten sich die Gastronomie- und Beherbungsbranche in Szene. Die professionellen Sportclubs stimmten ein herzzerreissendes Klagelied an. Und die verarbeitende Industrie von Metall über Maschinen bis hin zu Textil nutzte gekonnt die langjährige Zusammenarbeit mit dem Staat, im Bewusstsein, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Covid-Kredite und Kurzarbeitsentschädigung konzeptionell primär auf die traditionellen Unternehmen des Industriestandorts Schweiz ausgerichtet sind.

Das Schlimmste bereits hinter uns?

Aktuell sieht es aus, als hätte sich die befürchtete tiefe Rezession vermeiden lassen. Auch während des Lockdowns arbeitete ein Grossteil der Wirtschaft (teils voll im Homeoffice) und trug zu Wertschöpfung und Wohlstand bei. Unklar sind die Auswirkungen auf die Exportwirtschaft, die stark von der internationalen, insbesondere der europäischen Konjunktur abhängig ist. Hier könnten auf die Kurzarbeit Entlassungen und Redimensionierungen folgen. Verschiedene Branchen stehen aber auch vor radikalen Anpassungen, weil sich das Verhalten von uns Konsumenten sowie Arbeitnehmerinnen wegen Corona definitiv verändert hat und die Nutzung digitaler Tools gelebter Alltag geworden ist. Einiges wurde in den letzten Wochen über die möglichen Gewinner und Verlierer dieser Trends geschrieben. Doch wie steht es bei den Startups im Energie- und Klimabereich? Hier einige Beobachtungen aus Sicht eines Begleiters solcher Jungunternehmen.

Entscheidende Faktoren sind Strategie, Spirit und Brainpower

Ich habe in den letzten Monaten von keinem Cleantech-Startup gehört, das wegen Corona in Konkurs gegangen wäre. Die jungen Unternehmen sind strategisch meist gut aufgestellt, haben einen erstklassigen Spirit, motivierte Teams und viel Brainpower. Sie verfügen über klare Pläne und meist auch geregelte Finanzierungen. Corona hat zwar den Austausch mit den Kunden und Partnern verlangsamt, doch radikale Einbrüche bei Projekten und Aufträgen gab es kaum. Vielmehr hat Corona aufgezeigt, dass Innovationen und digitale Ansätze jetzt vordringlich umgesetzt werden müssen. Deshalb werden die entsprechenden Lösungen von den Kunden verschiedener Startups vermehrt nachgefragt.

Coaches und Beiräte als Unterstützer

Die meisten Startups haben auf ihrem Weg in die Selbständigkeit Kompetenz gewonnen und Businesspläne geschrieben. Innosuisse hat ihnen Coaches als Begleiter zur Seite gestellt, die ihnen den Zugang zu Netzwerken in Fragen des Marketings, IPO, strategischer Ausrichtung oder internationaler Präsenz ermöglichen. Venturekick, kantonale Wirtschaftsförderungen, Impact Hubs und start-up-Accelerator machen einen hervorragenden Job bei der Begleitung von Jungunternehmen. Nicht wenige Jungunternehmen haben auch Beiräte eingesetzt, die den Geschäftsgang eng begleiten, vor wichtigen Entscheiden die nötigen kritischen Fragen stellen und bei Bedarf Türen bei Kunden, Banken und Behörden öffnen. Zudem kommen immer mehr Jungunternehmen dazu, ihre Verwaltungsräte mit externen Fachleuten zu besetzen, weil diese eine andere Sicht einbringen. Speziell in der heutigen Phase des Changes, den auch die Startups spüren, sind Beiräte und auch unabhängige Verwaltungsräte wichtige Sparringpartner, die zu einem realistischen und zukunftsweisenden Kurs beitragen können.

Grossfirmen als Startup-Förderer

Einige Grossfirmen haben in den letzten Jahren eine Startup-Förderstrategie entwickelt: Sie sind bereit, sich mit Kapital und Erfahrung bei einzelnen Jungunternehmen zu engagieren. Pionierin solcher „Kooperationsstrategien“ war Energie 360° mit ihrem Smart Energy Innovation Fund SEIF, der heute eine grössere Zahl an Beteiligungen im Cleantech-Sektor hält. Inzwischen haben auch andere grössere Energie-Player eine Förderstrategie definiert. Sie beteiligen sich bei einzelnen Startups und motivieren teils auch interne Teams, sich als Startup autonom zu entwickeln. Bis hin zu Grossverteilern besteht die Bereitschaft, sich bei den Startups einzubringen. Man erhofft sich dadurch nicht nur finanzielle Vorteile (falls es sich um ein eigentliches «Einhorn» mit späterem Börsengang handelt), sondern man möchte auch den Spirit und die Coolness der Startups zu einem Teil der eigenen Unternehmenskultur machen. Zudem werden auch einige Startups vollständig übernommen, weil Produkt, Markt und Mitarbeiter bestens zur Firma passen und einen Beitrag zur Zukunftssicherung leisten können.

Make or buy

Bemerkenswert auch, dass nicht wenige der digitalen Startups bereits einen Teil der IT-Entwicklung in kostengünstigere Länder verlagern. Was vielleicht mal als supranationales EU-Forschungsprojekt startete, ist nun in der Umsetzung im Wirtschaftsalltag angekommen. Und da sind eben Entwickler in Barcelona oder Kiew deutlich günstiger als im Grossraum Zürich, wo zudem Google und all die andern Grossen permanent versuchen, den Startups die Cracks mit verlockenden Angeboten abzuwerben.

Und die Covid-Kredite?

Keine radikalen Einbrüche, aber Corona bedingte Verzögerungen und finanzielle Engpässe gab es auch bei den Startups. In der ersten Runde der Covid-Kreditzusagen kamen sie aber kaum zum Zug, weil bei der Kredithöhe ja der Umsatz 2019 massgebend war. Als der Bund dann für die Startups nachbesserte, spielte der Föderalismus plötzlich eine zentrale Rolle: Der Bund übernimmt nur 65% der Bürgschaftssumme, der Kanton muss die restlichen 35% garantieren. 21 Kantone haben sich für ein Engagement entschieden und leisten zudem teils recht grosszügige Zusatzhilfen. Der Kanton Zürich aber, in dem dank Spin-offs der ETH und anderer Forschungszentren besonders viele Startups domiziliert sind, hat auf die Übernahme dieses Bürgschaftsteils verzichtet und die Startups im Regen stehen lassen. Ein Armutszeugnis für diesen für Innovation und wirtschaftliche Dynamik wichtigen Kanton, welcher ein eigenes Programm aufstellen wollte, das aber weit höhere Hürden als der Weg über die bewährten Bürgschaftsgenossenschaften aufwies.

Geballte Ingenieurkompetenz für Dritte statt Konkurs

Einige Startups überbrücken die aktuelle Auftragsflaute und Verzögerungen bei der Markteinführung ihrer Produkte und Technologien mit dem vermehrten Bearbeiten von Ingenieuraufträgen für Dritte. Dadurch können sie kurzfristig Cash generieren und Arbeitsplätze erhalten. Sie eifern damit Toni Gunzinger und seiner Supercomputing Systems AG nach. 1993, in der Startphase seines Unternehmens, hatte er einen der weltweit ersten Supercomputer entwickelt, konnte diesen aber nicht rechtzeitig breit auf dem Markt ausrollen. Den Konkurs seiner Firma vermied er dank dem gezielten Ausrichten auf Drittaufträge. Heute zählt er zu den gefragtesten Problemlösern für Dritte, der nicht nur in den Bereichen Bildverarbeitung, IoT, Energie oder Blockchain tätig ist, sondern auch Firmen wie SRG, Deutsche Bahn, BKW oder Mercedes zu seinen Kunden zählt. In den nächsten Monaten und Jahren könnten ihm einige weitere Startups auf diesem Weg folgen.

Weiter das Ziel vor Augen

Die meisten Startups haben in ihren Businessplänen klare strategische Ziele formuliert, welche sie mittelfristig erreichen wollen. Corona führt dazu, dass nicht alle in diesen Plänen skizzierten Routen wie geplant beschritten werden können. Die meisten Jungunternehmen sind flexibel genug, Änderungen sowie Kurskorrekturen vorzunehmen, ohne dabei das Ziel aus dem Auge zu verlieren. Nicht wenige haben auch in den vergangenen Monaten extreme Leistungen erbracht und gleichzeitig eine hohe Opferbereitschaft bei den Entschädigungen gezeigt, weil sich der finanzielle Rahmen nicht erwartet entwickelt hat: man nimmt kurzfristig bei den Löhnen Reduktionen in Kauf, weil man an das langfristige Überleben und Gedeihen des Unternehmens glaubt. Gute Voraussetzungen, um den Startups später einen breiten Rollout auf den Märkten zu ermöglichen.

*)ich danke Pol Budmiger für wertvolle Diskussionen und wichtige Hinweise bei der Erarbeitung dieses Textes