Umbau der Energiesysteme: Ein Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz

Mein Besuch der Messe e-world, die im Februar in Essen stattgefunden hat, hat sich gelohnt. Interessant war, wie sich Schweizer Firmen im europäischen Umfeld präsentieren, aber auch die Informationen zu den neusten Entwicklungen in der deutschen Energiepolitik. Grund genug, einen Vergleich zwischen den energiepolitischen Ansätzen der Schweiz und Deutschlands zu ziehen.

2022, 2030 und 2038 – Die zentralen Meilensteine

Deutschland hat seit den Entscheiden der Kohlekommission drei fixe Daten für die Energiezukunft: Ende 2022 soll der Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein, Ende 2030 sollen 65% des Stroms erneuerbar produziert werden und 2038 soll der Ausstieg aus der Kohleverstromung geschafft sein. Der Ausstieg aus der Kernkraft war 2011 innert weniger Wochen von der Koalitionsregierung, nicht zuletzt auf Druck der CSU, fixiert worden. Im Gegensatz dazu hat für den Kohleausstieg eine breit zusammengesetzte Kommission monatelang gerechnet, gefightet und sich dann auf das Datum 2038 geeinigt. Dieses muss nun aber noch von Regierung und Parlament abgesegnet werden. Zu diesem zeitlich grosszügig bemessenen Kompromiss beigetragen haben neben regionalwirtschaftlichen Überlegungen auch Fragen der Versorgungssicherheit: Immerhin basiert die gesamte deutsche Stromproduktion zu 43,5% auf Kohle.

Umfassende Anpassungsbeihilfen

Die betroffenen Regionen im Osten Deutschlands sowie in Nordrhein-Westfalen lassen sich diesen Ausstieg vergolden. Sie erhalten aus dem Bundeshaushalt breitangelegte Unterstützungen für die Ansiedelung neuer Industrien. So soll beispielsweise die erste grosse Batteriefabrik neuster Technologie dort produzieren. Und für die vom stufenweisen Abbau betroffenen Arbeitnehmenden werden Übergangsrenten zur Verfügung gestellt. Daneben können die Besitzer der vorzeitig ausgemusterten Kohlemeiler Forderungen wegen entgangener Gewinne stellen, welche ebenfalls vom Staat kompensiert werden.

Was folgt auf die Kohle?

Natürlich würde man annehmen, dass bei diesem immerhin auf neunzehn Jahre angelegten Switch weg von der Kohle direkt in zusätzliche Erneuerbare investiert und damit die grüne Vollversorgung vorweggenommen würde. Doch Gespräche zeigen, dass man die wegfallenden Kohlemeiler zu einem nicht kleinen Teil mit neuen Gaskraftwerken ersetzen will. Man traut sich also derzeit in unserem Nachbarland noch nicht, den Umstieg in einem Schritt zu machen. Vielmehr wird mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die Stabilität der Netze während einer Übergangsperiode explizit auf neue Gaskraftwerke gesetzt. Nur am Rande sei erwähnt, dass mit Blick auf die Netzstabilität in der Umgebung von München in den nächsten Jahren ein neues Reserve-Gaskraftwerk von Uniper zur Aufrechterhaltung der regionalen Versorgungssicherheit gebaut wird. Dies obwohl daneben zwei beinahe neue Gaskraftwerke eingemottet sind und wieder in Betrieb genommen werden könnten.

Sektorkopplung als Herausforderung oder Chance?

Auch in Deutschland wird immer klarer, dass die Sektorkopplung zu einem zentralen Thema wird, weil Energie als Gesamtsystem mit den Sparten Strom, Wärme sowie Verkehr bewirtschaftet werden muss. In dieser Gesamtbetrachtung kann Gas – erneuerbar oder nicht – eine wichtige Rolle spielen. Dies, weil es bei der Speicherung sowie beim Transport über lange Strecken grosse Vorteile hat und bestehende Infrastrukturen genutzt werden können. Auch in der Schweiz sollten vermehrt Überlegungen angestellt werden, welche Rolle Gas in der Transformationsphase spielen kann und soll. Insbesondere die dezentrale Nutzung von Gas in quartierbezogenen WKK-Anlagen könnte mithelfen, Stromspitzen zu brechen und dezentral zur Netzstabilität beizutragen.

Deutsche CO2-Politik wenig erfolgreich

Die Schweiz hat wie Deutschland ein langfristiges Ziel: Im Jahre 2050 soll der Energiesektor möglichst erneuerbar und CO2-frei sein. Deutschland hat mit seinen Regierungskoalitionen sowie seinem Politikverständnis den Ansatz, jeden Schritt terminlich definitiv zu fixieren, alles unverrückbar als Gesetz festzuschreiben und die mehr oder weniger nötigen Entschädigungen für die Betroffenen zulasten der Steuerzahler grosszügig zu sprechen. Deutschland wird nicht zufälligerweise die für 2020 gesetzten CO2-Ziele verfehlen und auch die ambitiösen Vorgaben für 2030 dürften wohl nur schwer erreichbar sein. Zu stark hat man auf Einzelinteressen sowie einzelne Bundesländer Rücksicht genommen und zu wenig eine Gesamtstrategie verfolgt.

Schweizer Energiepolitik langsamer und flexibler

In unserem System, in welchem nicht Regierungskoalitionen kurzfristig entscheiden können, sondern im Parlament und beim Volk Mehrheiten fallweise gefunden werden müssen, gehen die politischen Prozesse länger und es werden weniger Abfindungen und Umstrukturierungsbeihilfen gezahlt. Man hat nicht den Anspruch, unter Federführung des Staates alles definitiv in Stein zu meisseln, sondern nähert sich schrittweise dem Ziel an. Die Energiestrategie 2050 enthält deshalb ein jährliches Monitoring sowie im Fünfjahreszyklus einen Rapport ans Parlament. Das ist die Grundlage für Vorschläge, bisher eingesetzte Instrumente zu streichen und neue Massnahmen festzulegen. Es ist ein pragmatischer Ansatz, welcher konzeptuell auf Veränderungen rasch reagieren kann und möglichst viele Optionen offenhält.
Verständlich deshalb, dass bei der aktuellen Revision des Stromversorgungsgesetzes die Frage nach weiteren Instrumenten zur Erhöhung der Versorgungssicherheit gestellt wird. Plausibel ist, dass eine strategische Reserve vorgeschlagen wird, um mögliche saisonale Risiken während der letzten Wintermonate abzudecken.

Ist die Schweiz auf dem Weg zu einem neuen Interventionismus nach deutschem Vorbild?

Mehr als fragwürdig ist demgegenüber die Tendenz, nun gleich auf Panik zu machen und weitere Fördermittel zur Aufrechterhaltung der Wasserkraft oder zum technologieneutralen Zubau weiterer Kapazitäten zu verlangen wie dies verschiedenen Player bis hin zur ElCom erwägen. Die Schweiz sollte bei ihren Konzepten zur Versorgungssicherheit auf die Integration in den sich immer stärker etablierenden europäischen Strombinnenmarkt setzen und davon ausgehen, dass ein Grossteil der in der Schweiz zu tätigenden Investitionen in die Wasserkraft sowie andere Technologien auf lange Sicht rentabel ist; dafür lassen sich langfristig orientierte institutionelle Investoren wie Pensionskassen finden. Natürlich ist es verführerisch, wie in Deutschland auf zusätzliche staatliche Interventionen zu setzen und sich die unternehmerischen Risiken vom Staat absichern zu lassen. Aber langfristig werden dadurch die Märkte mehr und mehr ausgehebelt und die Kostenwahrheit mit Füssen getreten – Versorgungssicherheit wird dadurch immer teurer und die Wünsche der Konsumenten wie auch die Anliegen des Klimaschutzes gelangen leicht unter die Räder.