Steuern und Wasserzinsen sind siamesische Zwillinge

Ich kann mich noch gut erinnern: Es war an einem Freitag vor mehr als einem Dutzend Jahren. Ich hatte mich auf 18 Uhr mit dem CEO eines grossen Schweizer Stromunternehmens in einem Solothurner Restaurant verabredet, um gemeinsam die neusten Entwicklungen in der EU zu diskutieren und die aktuellen schweizerischen energiepolitischen Dossiers zu erörtern. Ich wartete und wartete, der Mann erschien dann mit mehr als zweistündiger Verspätung. Er hatte an der Generalversammlung einer Walliser Stromproduktionsfirma teilgenommen, normalerweise eine Pflichtübung, welche nicht mehr als eine halbe Stunde dauerte. Diesmal waren für die Bewältigung der Traktandenliste aber mehr als zweieinhalb Stunden nötig, weil sich neue Player zeigten.

Die Gebrüder B. geben den Takt an…

Die Gebrüder B. (Walliser Anwälte und Hoteliers) hatten einige Aktien der Firma erworben und verlangten nun an der GV eine radikal andere Besteuerung der damals immensen Gewinne der grossen Stromfirmen. Der im Wallis produzierte Strom aus Wasserkraft sollte nicht mehr zu den Produktionskosten inklusive einer kleinen Marge ins Mittelland verkauft werden, wo dann die grossen Handelsgewinne an den Sitzen der Konzerngesellschaften in Lausanne, Olten, Bern, Baden, etc. anfielen und zu schönen Steuereinnahmen für die Mittellandkantone und Städte führte. Die beiden B. verlangten, dass die Hälfte der anfallenden Handelsgewinne an den Produktionsorten in den Bergkantonen zu versteuern sei.

Ein Dilemma: Auf Wasserzinsen oder Steuern setzen?

Der Vorschlag der B-Brothers war eine durchaus revolutionäre Forderung, welche von den CEO der Stromkonzerne nach Rücksprache mit den Finanzdirektoren der Talkantone Waadt, Bern, Basel, Zürich, Aargau und vor allem auch Solothurn bald einmal abgelehnt wurde. Man vertröstete die Bergkantone auf die geplante Erhöhung der Wasserzinsen: Das seien anerkannte Teile der Produktionskosten, das sei also sicheres Geld unabhängig von den allenfalls stark schwankenden Gewinnen der Stromkonzerne. Das BFE, das die damals zur Diskussion stehende Erhöhung der Wasserzinsen bearbeitete, hätte gerne ein Splitting der Gewinne gesehen, weil dies dem Ausgleich zwischen den Kantonen dienlich gewesen wäre. Doch die Mittellandkantone blieben hart: Diese Gewinne fliessen in unsere Staatskassen. Und so wurde der Wasserzins trotz massiv sinkenden Strommarktpreisen per 1. Januar 2011 von 80 auf 100 Fr/kW und per 1. Januar 2015 gar auf 110 Fr./kW erhöht, was die Bergkantone freute.

Die Musik spielt weiter…..

Im Hintergrund gingen die Diskussionen über die Aufteilung der Gewinne aus dem Handelsgeschäft zwischen den Finanzdirektoren der Berg- und Mittellandkantone weiter. Irgendwann im Jahre 2013 brach der zuständige Solothurner Regierungsrat Christian Wanner (gleichzeitig Alpiq-VR-Vizepräsident) die Verhandlungen ab, weil er keinen Sinn mehr sah.

Der Kanton Wallis hat als Konsequenz dieses Solothurner Verhandlungsausstiegs 2014 die dort produzierenden Alpiq-Gesellschaften nach „seiner“ Formel besteuert: Der Strom wird steuerlich als Exportprodukt angesehen, das an eine Drittfirma (die Konzernmutter) in einem anderen Kanton verkauft wird. Die Gewinne fallen damit grossteils im Wallis an und werden entsprechend besteuert – neckischerweise wurde dies gleich rückwirkend bis zum Jahre 2009 verfügt.

Welcher Melodie folgen die Gerichte?

Dieser Streit ist noch immer bei den Gerichten hängig. Vermutlich wird das Bundesgericht im Jahre 2019 entscheiden. Doch die Stimmung ist auch in den Mittellandkantonen am Kippen: Heute wünschen sich die Mittellandkantone für die noch immer in ihrem Besitz befindlichen Stromkonzerne zuerst und vor allem flexible Wasserzinsen, denn Handelsgewinne sind in den letzten Jahren kaum mehr in grossem Umfang angefallen, sodass auch kaum Steuereingänge zu verzeichnen waren.

Da stellen sich doch einige Fragen: Was passiert, wenn die Gerichte dem Kanton Wallis und den Bergkantonen ganz oder teilweise recht geben? Hätten Alpiq und andere Stromfirmen allenfalls rückwirkend bis 2009 eine Doppelbesteuerung zu akzeptieren? Wie müssten allenfalls bereits in den Mittellandkantonen vereinnahmte Steuern an das Wallis und seine Gemeinden weitergeleitet werden? Müssen gar Leistungen einzelner Kantone und Städte zurückgefahren werden, weil das Geld der Vorjahre fehlt?

Zeit für eine neue, harmonische Berg- und Tal-Melodie

Es ist wohl an der Zeit, jetzt einen Kompromiss zwischen den Berg- und Mittellandkantonen über die künftige Besteuerung der Gewinne aus dem Handel mit Strom aus Schweizer Wasserkraft zu finden (denn bessere Zeiten dämmern bereits am Horizont). Die aktuelle Debatte im Parlament zu den Wasserzinsen, dem siamesischen Zwilling der Steuern, könnte dadurch nur gewinnen: wer an eventuell bald wieder schönen Gewinnen partizipieren will, tut gut daran, bei den Wasserzinsen eine bestimmte Flexibilität zu zeigen.

 

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