Überforderte Gerichte: Reformen dringend nötig

Bald ist das Stromversorgungsgesetz StromVG zehn Jahre in Kraft. Noch in diesem Jahr will der Bundesrat eine Vernehmlassung zu dessen Revision starten. Sie soll einige seit längerem nötige Anpassungen sowie ein neues Strommarktdesign umfassen. Nicht angerührt wird aber ein Thema, das dem Bundesamt für Energie BFE und der Elektrizitätskommission ElCom in den letzten Jahren sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hat: Die Kompetenz und die Verfahren der Gerichte.

Das Stromversorgungsgesetz sowie die dazu gehörende Verordnung waren damals – vor ihrem Inkrafttreten – in Expertengruppen, einer Subkommission der UREK S und in Vernehmlassungen breit diskutiert worden. Über Kompromisse wurde versucht, in den wesentlichen Punkten möglichst allen Interessengruppen gerecht zu werden. Wir gingen deshalb davon aus, dass die erzielten Übereinkünfte belastbar wären und sich die Zahl von Gerichtsfällen nach Inkrafttreten in Grenzen halten würde. Doch weit gefehlt: Mehr oder weniger alles wurde einer richterlichen Überprüfung unterzogen.

Ein gutes Business für die Anwälte

Einerseits witterten einige Anwälte ein neues, lukratives Geschäftsfeld. Sie motivierten die Stromunternehmen zu Klagen und publizierten fleissig ihre teils wissenschaftlichen, teils eher interessengeleiteten Kommentare zum eben in Kraft getretenen Gesetz in juristischen Fachzeitschriften. Andererseits versprachen sich nicht wenige Stromunternehmen eine Stärkung ihrer Bilanz, wenn diese oder jene Berechnungsmethode auch angewandt werden könnte. Nach beinahe zehn Jahren sind nun die meisten dieser Gerichtshändel abgeschlossen. Zu befürchten ist, dass einige der Änderungen, welche die Revision des StromVG mit sich bringen wird, wohl wieder auf einen jahrelangen Gerichtsparcours geschickt werden.

Den Gerichten fehlt die Sachkompetenz in Technik und Wirtschaftsfragen

Im BFE und bei der ElCom werden heute Vorlagen und Entscheide in enger Zusammenarbeit von Juristen, Ökonominnen und Ingenieuren entwickelt. Es hat sich in der Verwaltung und in der ElCom eine konsequente Interdisziplinarität eingespielt, die zur besseren Qualität der Dossiers beiträgt, weil verschiedenste Aspekte berücksichtigt werden. Überprüft werden diese Entscheide dann vom Bundesverwaltungsgericht sowie vom Bundesgericht, die nur gerade über juristische, aber nicht über technische oder wirtschaftliche Kompetenz verfügen. Die Folge davon ist, dass in verschiedensten Fällen die Gerichte nur festhalten, dass dies oder das nicht richtig sei. Wie es richtig wäre, können die Richter aber nicht darlegen, so dass sie die Fälle dann einfach an die ElCom oder die Bundesverwaltung zurückspielen.

Der Schiedsrichter muss verhandeln – das ist nicht nur beim Fussball falsch

In der Folge muss die ElCom sich plötzlich als Schiedsrichter, Strommarkt-Beobachter und -Aufsicht mit den Spielern an einen Tisch setzen und einen Kompromiss aushandeln, um nicht wieder vom Gericht zurückgepfiffen zu werden. Der Schiedsrichter muss also eine Rolle einnehmen, die ihm nicht zugedacht war: Verhandeln ist nicht Sache eines Regulators. Er soll vielmehr Weisungen geben, an die sich die Beaufsichtigten zu halten haben.

Ähnlich unwohl ist es den Regulatoren und Ämtern in den anderen Infrastrukturbereichen wie Bahnen, Strassen, Zivilluftfahrt und Kommunikation. Auch dort sind die Entscheide Ergebnis der gebündelten Kompetenz und Erfahrung von Ingenieuren, Juristinnen und Ökonomen. Und auch dort hat man immer wieder Mühe mit den teils realitätsfernen Entscheiden der Gerichte.

Es braucht eine Infrastrukturkammer am Bundesverwaltungsgericht

Gut funktionierende Infrastrukturen sind ein entscheidender Standortvorteil unseres Landes und bringen den Bewohnern eine hohe Lebensqualität. Lange Verfahren und überforderte Gerichte sind Gift in diesem Bereich. Deshalb sollte die Politik mutig zwei wichtige Reformen anstossen:

  1. Am Bundesverwaltungsgericht wird eine Infrastrukturkammer eingerichtet, in welcher neben Juristinnen auch Ingenieure und Ökonominnen gleichberechtigt Einsitz nehmen und ihre Beiträge für sachgerechte und zukunftsweisende Entscheide einbringen. Diese Kammer entscheidet über alle Fragen von Strom und Gas, Verkehr und Kommunikation rasch und unter Nutzung der neusten Informations- und Kommunikationstechnologien.
  2. Da die Regulatoren mit ihren konkreten Entscheiden quasirichterliche Funktionen haben, wird der Weiterzug ans Bundesgericht auf wenige Grundsatzfragen beschränkt. Alle anderen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts haben abschliessenden Charakter. Dies hilft mit, die Verfahren zu beschleunigen und definitive Rechtssicherheit rascher zu erlangen.

Erscheint am 29. März 2018 im Energate Messenger