Deutschland kopiert die Schweiz

GASTKOMMENTAR zur Debatte über die Energiewende und zu Thomas Pfisterers Beitrag. Erschienen in der Nordwestschweiz vom 25. April 2017
Mit dem Zweihänder griff alt Ständerat Thomas Pfisterer in der «Nordwestschweiz» vom 19. April in die aktuelle Debatte zur Abstimmung vom 21. Mai 2017 ein. Er behauptet, die Schweiz ahme in der Energiepolitik die Politik von Deutschland nach, und die Energiestrategie 2050 führe – speziell im Aargau – zu Nachteilen für Arbeitskräfte und Wettbewerbskraft.

In Pfisterers Argumentation geht vieles an den Fakten vorbei. Die Schweizer Energiepolitik wie auch der Atomausstieg sind pragmatisch und nicht von Ideologien geprägt: Während Deutschland fixe Abschaltdaten für seine Atomkraftwerke definiert hat und das letzte Kernkraftwerk Ende 2022 vom Netz geht, produzieren in der Schweiz die bestehenden Kernkraftwerke Strom, solange sie sicher sind. Über Sicherheit entscheidet dabei nicht die Politik, sondern die Sicherheitsagentur für Kernkraftwerke, das in Brugg beheimatete Ensi). Dieser Ansatz wurde im vergangenen Herbst auch von einer Volksmehrheit befürwortet. Er erlaubt, dass eben nicht mehr Kohlestrom importiert werden muss, um Versorgungslücken zu decken, sondern – bei genügend Investitionen in die Sicherheit – die bestehenden Kernkraftwerke so lange wie nötig am Netz zu lassen.

Thomas Pfisterers Behauptung ist nicht nur falsch, sondern das Gegenteil ist richtig: Deutschland kupfert mehr und mehr Elemente unserer Energiepolitik ab. Bereits umgesetzt hat Deutschland den Neustart der Suche eines Tiefenlager-Standorts für radioaktive Abfälle – nach Schweizer Vorbild. Auch für einen Neustart der Finanzierung von Stilllegung und Entsorgung war die Schweiz den Deutschen ein Vorbild. In Deutschland waren bis jetzt die finanziellen Rückstellungen für diese beiden Bereiche Teile der Konzernbilanz von RWE, e.on, EnBW und all den andern. Damit war die Gefahr gross, dass diese Mittel bei einem Konkurs der Unternehmen nicht mehr vorhanden wären. Die Kollegen vom deutschen Wirtschaftsministerium liessen sich von uns über die seit den Achtzigerjahren gebildeten unabhängigen Stilllegungs- und Entsorgungsfonds informieren und stellten wenige Wochen später ein Modell vor, das unverkennbar von unseren Konzepten inspiriert war. Nachdem wir die Schweizer Lösung in Berlin auch einer hochkarätigen Atomkommission vorgestellt hatten, genehmigte dieses Gremium sowie später Regierung und Parlament das neue Modell mit einem von den Konzernen unabhängigen Entsorgungsfonds.

Gute Erfahrungen machen wir in der Schweiz mit Modellen der Ausschreibungen für Energieeffizienzprojekte. Derartige Auktionen erlauben, die pro gesparte Energieeinheit kostengünstigsten Vorhaben zu realisieren und die teureren nochmals in die Überarbeitung zu schicken. Deutschland hat dieses Modell für Effizienzprojekte praktisch eins zu eins übernommen. Zudem hat es sich nach längeren Diskussionen auch entschieden, künftig den Zubau von Projekten für erneuerbare Energien nach diesem Konzept, also mittels Auktionen, zu vergeben. Auktionen für den Zubau der Erneuerbaren gibt es bei uns zwar nicht, doch der Grundgedanke ist der Gleiche: Der Zubau soll dosiert erfolgen und die finanziellen Mittel sollen klar begrenzt werden. Diese Limitierung ist im nun zur Abstimmung gelangenden Energiegesetz ein wichtiges Steuerungselement.

Lange Diskussionen führten wir mit den deutschen Kollegen auch zur Eigenverbrauchsregelung. Uns schien nicht sinnvoll, die Fördertöpfe wie in Deutschland unnötig anwachsen zu lassen. Mit dem 2014 eingeführten Eigenverbrauchsprinzip soll der Besitzer einer Photovoltaikanlage den selbst produzierten Strom vor allem selbst konsumieren und nur den Überschuss ins Netz liefern. Als Förderung erhält er statt der Einspeisevergütung einen einmaligen Investitionsbeitrag an die Kosten der Anlage und ist für die Vermarktung seines Stroms selbst verantwortlich. Mit dem nun zur Abstimmung kommenden neuen Energiegesetz soll die Finanzierung über Investitionsbeiträge auf weitere Anlagetypen ausgedehnt werden.

Das neue Energiegesetz ist ein nach fünf Jahren intensiver Diskussion austariertes pragmatisches Kompromisswerk, welches auch den Kantonen Spielräume lässt. Die Regierung des Kantons Aargau hat diesen Gestaltungsraum geschickt genutzt und den Standort als Energiekanton mit verschiedensten Initiativen neu aufgestellt. So wurde die Forschungslandschaft gestärkt, die Kooperation zwischen Hochschulen und Fachhochschulen ausgebaut und ein Innovationspark lanciert, alles in Abstimmung mit den im Aargau beheimateten Industrieperlen, aber auch mit Klein- und Mittelbetrieben. Zudem erhielt das PSI den Lead in einem wichtigen Swiss Competence Center for Energy Research und positioniert sich in verschiedensten Energieforschungsgebieten auch international in der Spitzengruppe. In einem sich rasch ändernden und technologisch anspruchsvollen Umfeld sind deshalb die Chancen gut, dass sich dieser Werkplatz mit Unterstützung der vom neuen Energiegesetz gebotenen Rahmenbedingungen optimal entfalten und neue attraktive Arbeitsplätze schaffen wird.

 

Der Autor, aufgewachsen in Aarau und Niedergösgen, war Wirtschaftsförderer in den Kantonen Solothurn und Baselland und Direktor des Bundesamtes für Energie (2001–2016).