Gehören die kantonalen Energiegesetze auf den Misthaufen der Geschichte?

Ich habe weit mehr Jahre in kantonalen Verwaltungen gearbeitet als beim Bund. Ich war Sekretär der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK) und treffe mich noch heute mit Kollegen aus kantonalen Verwaltungen zum Jassen, zum Erinnerungen teilen und auch zum Austausch über diverse Politikbereiche. Ich habe also durchaus eine föderalistische DNA und bin nicht à priori ein Freund zentralistischer Lösungen. Aber manchmal frage ich mich, ob die Kantone in der Energiepolitik auf dem richtigen Weg sind. Zwar haben die für die Energiefragen zuständigen kantonalen Energiedirektoren (EnDK) der Energiestrategie 2050 zugestimmt, doch seither werden Schritte in die Wege geleitet, die mich verwirren.

Das steuerliche Leid der Photovoltaik

Die steuerliche Förderung von PV-Anlagen wird von Kanton zu Kanton unterschiedlich gehandhabt. Jeder Kanton hat eigene Prinzipien und Modelle. Teils wird die Förderung so ins Gegenteil verkehrt und führt zu Doppelbelastungen. Es werden Entscheide gefällt, die im Falle von Klagen vor den Gerichten kaum standhalten würden. Zu vermuten ist, dass sich die kantonalen Energiefachstellen gegenüber ihren Steuerverwaltungen nicht durchsetzen konnten: Die Maximierung der Steuereinnahmen scheint oberstes Ziel zu bleiben.

Vom Umgang mit Nuklearrisiken

Die Axpo-Kantone und deren EVUs haben lange an einer neuen Eigentümerstrategie getüftelt. Etwas böse könnte man sagen, der Berg hat eine Maus geboren. Diplomatischer formuliert: Der kleinste gemeinsame Nenner war derart klein, dass die Resultate im Gegensatz zu früheren grossangelegten Übungen wie Hexagon nicht gemeinsam kommuniziert, sondern urplötzlich in einem Bericht des Kantons Thurgau erstmals auftauchten.

Wesentlichstes Element ist die Möglichkeit, dass die Axpo-Aktien vorerst zwischen den bisherigen Aktionären gehandelt und später auch an Dritte verkauft werden können. Viele mögen es zwar für erfreulich halten, dass die Axpo-Kantone nicht mehr in neue Nuklearanlagen investieren wollen. Doch das lenkt vom eigentlichen Problem ab. Solange die beiden KKW Beznau voll und ganz in der Axpo-Bilanz integriert sind, wird sich wohl kein institutioneller Anleger für eine grössere Beteiligung an diesem Konzern durchringen können.

Die Axpo-Aktie bis 2050 kein Highflyer?

Denn die Axpo muss bis zum Ende der Stilllegung der beiden Meiler, was wohl etwa 2050 sein wird, zusätzliche Beiträge in die Stilllegungs- und Entsorgungsfonds zahlen, falls künftige Kostenstudien höhere Kosten ausweisen. Während die Kernkraftwerke Leibstadt und Gösgen Partnerwerke sind, bei denen gemäss Gesetz auf die Partnerfirmen resp. Eigentümer finanziell nicht Rückgriff genommen werden kann, sind Mühleberg und Beznau in Konzernbilanzen integriert. Das führt dazu, dass die Axpo-Aktie auf dem Markt noch lange Zeit nicht sehr attraktiv sein wird.

Bei Axpo wie bei BKW stellt sich deshalb die Frage, ob nicht besser der kommerzielle sowie international ausgerichtete Teil der Konzerne abgetrennt und privatisiert werden sollte. Denn es ist weder den Berner noch den Zürcher Steuerzahlenden zu vermitteln, warum sie für die stets mit gewissen Risiken verbundenen Engagements dieser Konzerne in Frankreich, Deutschland oder den USA geradestehen sollen. Aber private Investoren und institutionelle Anleger könnten sehr wohl Freude an einem derartigen Papier haben und ein Börsenfeuerwerk veranstalten, das Geld in die Kantonskassen spült.

Vom Umgang mit Wasserkraftrisiken

Innerhalb der Energiedirektorenkonferenz haben mehr und mehr die Bergkantone die Themenführerschaft übernommen und sie kämpfen engagiert für ihre Ressource Wasserkraft. Sie haben erfolgreich die Verlängerung des bisherigen starren Wasserzinsregimes durchgedrückt. Nun fordern sie im Stromabkommen Schutzklauseln für die Wasserkraft und im Stromversorgungsgesetz grosszügige Investitionsanreize für den Erhalt sowie Ausbau der Wasserkraft.

Das eigentliche Risiko liegt bei der Neukonzessionierung

Wenn in der Stromwirtschaft heute von den Risiken der Wasserkraft gesprochen wird, dann geht es nicht primär um bestehende oder zusätzliche Subventionen. Die für die Marktprämie zur Verfügung stehenden Mittel werden wohl kaum mehr voll ausgeschöpft, denn die meisten bestehenden Wasserkraftwerke rentieren wieder. Die grossen Risiken liegen vielmehr bei der Neukonzessionierung von bestehenden Wasserkraftwerken. Neben Heimfallentschädigungen sowie Umweltschutzauflagen dürfte vor allem die Absicht einzelner Bergkantone, künftig die Aktienmehrheit der Gesellschaften zu übernehmen und die Vermarktung des Stroms gleich selbst an die Hand zu nehmen, bei den bisherigen Betreibergesellschaften zu Stirnrunzeln führen. Es mag zwar Beispiele erfolgreicher Unternehmenstätigkeiten der Kantone geben. In einem mehr und mehr europäisch integrierten Strommarkt bin ich jedoch skeptisch, ob mehrheitlich von einzelnen Kantonen gehaltene Stromproduktions- und -handelsgesellschaften zu einer neuen Goldader für die Bergkantone werden. Man kann diese Kuh nicht dreimal melken: Wasserzinsen, Steuern am Produktionsort sowie Dividenden aus den Beteiligungen – das könnte leicht zu einem Klumpenrisiko werden.

Auf dem Weg zum Gesamtsystem Energie

In der Energiewelt wachsen die Teile Elektrizität, Wärme und Mobilität immer mehr zu einem System zusammen. In der Energiedirektorenkonferenz ist der Einfluss der Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) stark, deshalb ist deren Fokus auf die Wasserkraft und die Netze (Swissgrid) ausgerichtet. Die Energiedirektoren der Mittellandkantone stehen vor ganz anderen Herausforderungen: In einer zunehmend urbanen und verdichteten Schweiz ist Energie Teil eines umfassenden Gesamtsystems, bei dem Planungs-, Energie-, Verkehrs- Bau- und Umwelt-Aspekte zu beachten sind. Jedes Gebäude wird zu einem Kraftwerk, Planungen basieren auf einem Quartierraster. Durch eine optimale Vernetzung wird so autonom die Balance zwischen Nachfrage und Angebot mittels lokaler Produktion und Speichern hergestellt und die gewünschten Leistungen an Wärme/Kälte, Strom und Mobilität für die Bewohnerinnen und Bewohner systemisch und dezentral erbracht.

Kantonale Energievorschriften für einzelne Gebäude haben ausgedient

Da fragt man sich schon, ob die sehr technischen und detaillierten Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) noch Zukunft haben. Sie sind primär auf Dämmung und Gebäudetechnik ausgerichtet und werden zudem nur in wenigen Kantonen innert nützlicher Frist umgesetzt. Wäre es angesichts der Systemkonvergenz im Energiebereich nicht an der Zeit, die bisherige stark auf Einzelgebäude ausgerichteten kantonalen Energiegesetze auf den Misthaufen der Geschichte zu werfen? Denn Gebäude müssen künftig als Teil eines Gesamtsystems von Strom, Wärme und Mobilität betrachtet werden. Und dieses Gesamtsystem ganzheitlich zu planen und erfolgreich zu realisieren, wäre wohl ein nationales Rahmengesetz eine vielversprechende Option.

 

Erscheint im Energate Messenger 29. Mai 2019